Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
einen Moment besinnungslos blieb. Ein fürchterlicher Moment. Heulen, Schreien, Lärm jeder Art.
Es polterte von oben, es stürmte die Treppen herauf, Leute waren eingedrungen ins Haus, schon sogar als ungerufene Zeugen ins Zimmer. Als Adelheid, an die Wand gelehnt, ihre Besinnung zurückkam, hatte auch der junge Mann sie wieder gewonnen. Es war der entsetzlichste Blick, den sie gesehen, eine Basiliskenblick, die Zornader glühte auf seiner Stirn und die Brust hob sich wie eine Meereswelle, als er aufsprang und nach einer Waffe griff. »Mord!« »Todtschlag!« »Polizei!« – »Blut!« schrieen verwirrte Stimmen. Dem Stuhle, den der Rasende wie eine Keule in der Luft schwang, hätte der Galanteriedegen, den der Andere rasch gezogen, nicht parirt. Aber die Obristin fasste nach dem Stuhlbein, als der Degen schon mit einem gefährlichen Parirstoß nach der Brust zückte. Jülli sah die Spitze funkeln, sie hing an Louis Brust, sie umklammerte seinen Hals, ein Schild, das ihn schützte, aber ihm die freie Bewegung raubte: »Louis, nicht Dein Blut!« Der Stoß des nur zur Vertheidigung gezückten Degens hätte tödtlich werden können, wo der Feind in blinder Wuth sich auf den Gegner gestürzt hatte, als Adelheid dem Kavalier in die Arme fiel: »Um Gottes, um Gottes Barmherzigkeit willen, kein Blut um mich!«
Es war alles das Werk eines Momentes. Die Degenspitze hatte Jülli's Schulter gesteift; es rieselte roth von ihrem Nacken. Im selben Augenblicke trennte ein dritter Fremder die Kämpfer. »Auch Mord und Blut in diesem Sündenhaus!« Des Predigers Gesicht war krampfhaft verzogen, er hob die zitternden Arme gegen die Obristin; er drohte ihr, aber die Stimme schien auch ihm zu versagen. Er griff in die Tasche und warf ihr eine kleine Börse zu Füßen: »Weib, mach' Dich bezahlt mit meinem Sparpfennig.«
Der Lärm hatte inzwischen einen bacchantischen Charakter angenommen. Den Pöbel kitzelte die wilde Luft, hier die Nemesis zu spielen, zerstören zu können. Die Träger der Effekten des Predigers, die er in aller Hast hinunterschaffen ließ, fanden auf Treppen und Thüren kaum Durchweg; man wollte untersuchen, ob nichts Verdächtiges damit entschlüpfe. Rohe Witzworte begleiteten diese Improvisation. Noch ärgere Invektiven schallten von der Straße, denn das Gerücht von dem, was im Hause sich zugetragen, wuchs natürlich je entfernter man davon stand. Die Schwadronen zogen ab, und das von den Blasinstrumenten angestimmte Lied: »Ach, du lieber Augustin!« dröhnte als Parodie durch das Getöse. Da hatte die Obristin, die nicht nach dem Geldbeutel griff, denn sie sah, es war hier mehr verspielt, eine unbeschreibliche Wuth ergriffen. Die Larve der Sanftmuth und Gleisnerei war abgefallen, die innerste Natur des gemeinen Weibes hatte sich herausgekehrt und ihre funkelnden Augen und fletschenden Zähne suchten nach einem Gegenstand der Rache. Sie hatte ihn gefunden. Den Geistlichen hatte sie mit dem Ellnbogen und einem Schimpfwort bei Seite geschoben, die »Natterbrut an ihrem Busen,« die ihr so mit Undank gelohnt, die den Störenfried versteckt, sollte es entgelten. Aber stand der nicht selbst vor ihr, der all das Unglück angerichtet, – mit seinen bösen, schönen Augen? Sprach sie's aus, oder sah sie's an ihren gespitzten Fingern, an den gehobenen Armen, die Hyäne auf dem Sprunge? Jülli's Augen funkelten auch dämonisch: »An seinen schönen Augen Deine Hand, Du schändlich Weib! Erst über meinen Leib, den zertritt nun vollends!«
»Die Weiber bringen sich um!« schrie es. »Polizei!« Schon arbeitete der Kommissar sich durch die Thür. Das Weib hatte das Mädchen an der Schulter gepackt, wo der Degen gestreift. Das Mädchen stieß einen Schmerzensschrei aus und sank ohnmächtig nieder, während von hinten eine andere Megäre die Wüthende umklammerte. Auch hier eine abgefallene Larve, auch hier die lang verhaltene Wuth einer gemeinen Natur, die keine Rücksichten mehr kennt!
Der Polizeibeamte sah nicht mehr des Kavaliers gezückten Degen, er hatte ihn eingesteckt, auch der geschwungene Sessel war längst aus Louis' Händen zu Boden gefallen; er saß, zurückgesunken in einem Stuhl und starrte, Todtenblässe im Gesicht, auf das zu seinen Füßen liegende Mädchen, seine Lebensretterin. Der Polizeibeamte sah nur die ringenden Weiber, eine blutbedeckte Hand von der zusammenschnürenden Umarmung einer Wüthenden in die Luft gestreckt. Mit kräftigem Arm, mit dem Griff des Säbels, der unsanft auf ihre Schultern
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