Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
verursacht.
»In dies Tuch!« rief Adelheid, als der Legationsrath bemüht war, den seidenen Shawl um ihre Schultern zu ziehen. Sie riß es hastig ab und schleuderte es in den Winkel. »Es ist nicht meines.« Sie schauderte. »Fort, fort, nach Hause!«
»Unmöglich, Demoiselle! Sie ziehen sich eine gefährliche Krankheit zu. Wenn das Tuch nicht Ihnen gehört, schicken wir es sogleich zurück. Nur bis ich Sie zu Ihrem Vater gebracht.«
»Mein Vater soll das Netz nicht sehen, worin sie seine Tochter fangen wollten.« Sie hing sich mit Ungestüm an seinen Arm. »Mich friert, aber nur hier. Gewiß nur hier, da draußen ist es warm.«
Auch den Legationsrath fröstelte. Er konnte die Retterrolle, die er übernommen, bereuen. Die entschlossenen Züge seines Gesichts schienen dem zu widersprechen. Aber seine Lage war eine kitzliche für einen vornehmen Mann, dem der Anstand vor der Welt allen Rücksichten vorangeht. Oeffentlich aus diesem Hause eine Dame zu führen, deren aufgeregter, halb verwildeter Zustand den Vermuthungen, die sich von selbst machten, nur zu sehr Thor und Thür bot. »Sie ist ja offenbar betrunken,« musste er im Vorbeigehen hören. »Die Schminke eben abgewischt,« sagte ein Anderer. »Und in der Windfahne auf offener Straße!«
Dies waren nicht mehr die Stimmen des Pöbels, es waren die Urtheile ruhiger Bürger. Es waren dieselben Personen, welche vorhin den Prediger und seine Töchter vor den Insulten der Buben geschützt. Denn diesen Landmädchen sähe man es ja an, daß sie nicht in das Haus gehörten, aber es sei doch eine Verhöhnung alles Anstandes, wenn ein Kavalier im Hofkostüm mit einer solchen frechen Dirne ohne Scham und Scheu auf offener Straße sich zeigt. So etwas sei selbst zu den schlimmsten Zeiten der Lichtenau'schen Wirthschaft nicht vorgekommen.
Zum Glück hörte davon Adelheid nichts. Der Legationsrath hörte Alles, aber keine Miene verrieth es. Die ruhigen Bürger blickten ihm kopfschüttelnd, die Gassenbuben liefen ihm höhnend nach. Er schwieg auch da, er beschleunigte nicht einmal seine Schritte. Er suchte nur nach etwas, vielleicht nach einem Bekannten, nach einem Fiaker konnte er sich nicht umsehen, es gab deren in Berlin noch nicht. »Wissen Sie die Wohnung meines Vaters?« fragte Adelheid. »Ich weiß sie.« Aber er nahm eine andere Richtung und beschleunigte jetzt seine Schritte. Als Adelheid ihn daran erinnern wollte, trat er an eine offene Kutsche, welche in der Querstraße vorüberfuhr, und gab dem Kutscher ein Zeichen zum Halten, zum großen Befremden der Dame, welche darin saß; zu ihrem noch größeren aber redete er sie bei ihrem Namen an und bat sie um einen Dienst der Menschenfreundlichkeit. Er nannte seinen Namen. Eine leichte Röthe überflog die blassen Wangen der Geheimräthin Lupinus. Sie neigte sich anmuthig über den Wagenschlag, sein Anliegen zu hören.
»Erlauben Sie, daß ich französisch spreche,« sagte er, »wegen der Zuhörer.« Es blieb zweifelhaft, ob er die Gassenbevölkerung meinte, die sich schon um den Wagen drängte, oder Adelheid, die noch an seinem Arm hing. In einer fließenden kurzen Darstellung mit einem Accent, in welchem die Geheimräthin den Pariser zu erkennen glaubte, erzählte er die skandalösen Vorfälle in dem Hause ohne alle Personen, die darin verwickelt waren, zu nennen, und den wahrscheinlichen Grund, wie das arglistige Weib das junge Mädchen in ihr Garn gelockt. »Sie sehen, Madame,« schloß er, »die schreckliche Lage, in welche eine Verkettung von Umständen die Tochter ehrbarer Eltern gebracht hat. Wenn es mir auch dort mit meinem Degen gelang, sie vor der Brutalität zu schützen, so ist der Stahl doch eine ganz unzulängliche Waffe gegen böse Vermuthungen und die aufgeregte Populace hier. Ich rufe vertrauensvoll Ihre Hülfe an. Meine Bitte, sie in Ihrem Wagen aufzunehmen und den Eltern zu überliefern, ist nur der geringste Theil meines Anliegens. Die Ehrenrettung des jungen Mädchens erfordert einen offenen Akt der Anerkennung. Wenn Sie sich entschließen könnten, sie hier öffentlich zu embrassiren, so ist ihre Ehre wenigstens vor diesem Straßenpublikum retablirt. Denn wer kann zweifeln, wenn eine Dame vom Ruf der Frau Geheimräthin Lupinus sie dieser Auszeichnung werth hält.«
Die Geheimräthin war durch die Vorstellung nicht unangenehm berührt. Sie fragte leise übergebeugt: »Wer ist ist eigentlich die junge Person, ich hörte den Namen nicht deutlich.« – Der Name des Kriegsraths mochte der
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