Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
fuhr, riß er sie auseinander. Die beiden Sergeanten ergriffen die Obristin und Karolinen. Indem sein Blick umherstreifte, nach den übrigen Komplicen zu suchen, fiel er zunächst auf Adelheid. Sie war, von Mitleid fortgerissen, neben der Verwundeten hingekniet; aus dem natürlichen Impuls sich den Blicken zu verbergen, beugte sie sich tiefer über das unglückliche Mädchen als nöthig war, in dem Augenblick vielleicht das glücklichere; sie wusste ja nicht, was um sie vorging. Auch Adelheid wusste es kaum, als die rauhe Hand des Kommissars sie aufriß: »Aufgestanden! Marsch!« – »Sie ist unschuldig!« rief eine Stimme. – »Da den Beweis ihrer Unschuld!« sagte der Kommissar, und zeigte Adelheids Hand, auch sie blutig von der Berührung. »Auf der Wache wird sich alles herausfinden, mein schönes Kind. Einstweilen mitgefangen, mitgehangen.« – »Sie ist unschuldig!« schrie Louis, aus seinem Starrsinn erwachend. Er war aufgesprungen. Der Beamte sah ihn mit einem höhnischen Blicke an: »Wenn man Sie als Zeugen aufrufen wird, ist Zeit für sie zu sprechen. Oder sind Sie etwa auch unschuldig? Die Person hier auf eine Trage, und vorsichtig! Auf der Wache wollen wir untersuchen, wo sie hin muß.«
Wie so viele Nadelstiche bohrte das rohe Gelächter in Adelheids Herz. An wen sich wenden! Sie hatte keinen Freund, keinen Bekannten hier. Der Kammerherr war verschwunden. Sollte sie das Weib anrufen, das jetzt noch kochte, und, grimmige Blicke mit dem andern Mädchen tauschend, von neuen Thätlichkeiten nur durch die Wache abgehalten ward? Und was hätte deren Zeugniß in dieser Lage ihr geholfen? Durfte sie den Namen ihres Vaters nennen?
Der Retter stand aber schon vor ihr: »Diese Dame ist an den Auftritten hier so unbetheiligt als ich selbst,« rief der Fremde; und schon sein Kostüm und Anstand brachte auf den Kommissar so viel Eindruck hervor, daß er unmerklich Adelheids Arm losließ. »Ich bin der Legationsrath, Kammerherr von Wandel aus Thüringen. Auf der Rückkehr von der Tafel Seiner Königlichen Hoheit führte mich der Zufall, ich meine der Spektakel, in dies Haus, und ich kam glücklicherweise noch zu rechter Zeit, um dies junge Mädchen vor Beleidigungen zu retten, über die ich, wenn es erfordert wird, Zeugniß ablegen kann. Ich verbürge mich für den unbescholtenen Ruf der Dame, deren Name und Familie mir bekannt sind, und die nur der Zufall oder die Bosheit hierher locken konnte. Diesem würdigen Geistlichen und seiner Familie ist es nicht besser ergangen. Daß sie keinen Theil an den Excessen dieser Personen da hat, brauche ich kaum auszusprechen; das Blut an ihrer Hand rührt, wie Sie sehen, von der liebreichen Pflege, die sie jenem armen Geschöpfe angedeihen ließ.«
Der Polizeikommissar verneigte sich leicht vor dem Fremden, nachdem dieser ihm den Namen des Vaters ins Ohr geflüstert hatte: »Diese Demoiselle kann demnächst auf Bürgschaft des Herrn Legationsraths entlassen werden.«
»Und ich ersuche Sie, mein Herr Prediger,« wandte sich der Legationsrath an den durch das Gedränge noch immer festgehaltenen Geistlichen, »das junge Mädchen unter dem Geleit Ihrer Töchter aus diesem Hause zu bringen. Sie bedarf eines weiblichen Schutzes vor Neckereien und Brutalitäten, die Begleitung eines Mannes, wer es auch sei, würde sie nur anlocken.«
»Bleiben Sie mir vom Leibe! Soll ich noch von der Brut mir anhängen, wo ich kaum weiß, wie ich mit meinen unschuldigen Töchtern ohne Insulten davon komme?«
Dem Geistlichen diente die eigene peinliche Lage gewiß zur Entschuldigung, wenn er jetzt so hart erschien, als er früher leichtgläubig gewesen. Auch die Reden unter den Zuschauern konnten ihn rechtfertigen, denn man zischelte sich zu oder sagte es vielmehr ganz laut: »Die Hübscheste wird losgerissen von dem vornehmen Herrn.« »Das weiß man schon, an wem nichts mehr zu verlieren ist, den lässt man dem Galgen.«
Der Polizeikommissar, der mit dem Bleistift einige Notizen gemacht, wies auf Louis: »Wollen Herr Legationsrath auch etwa für diesen jungen Herrn bürgen?«
»Mich dünkt, sein Zustand bürgt für ihn,« sagte Wandel. »Wenn er ernüchtert ist, wird er selbst am besten Rechenschaft geben, welche Motive ihn in dies Haus geführt. Ich meinerseits habe durchaus keine Ansprüche an den Sohn des Herrn –«, er flüsterte wieder den Namen in das Ohr des Beamten, »sollte der Herr Forderungen an mich haben, so ist ihm meine Adresse bekannt,« setzte er scharf betonend mit einem
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