Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
eben so scharfen als kurzen Blick auf den Betreffenden hinzu.
»Demoiselle,« sagte er dann, Adelheid seinen Arm bietend, »da sich kein anderer Ritter findet, müssen Sie sich meinem Schutz anvertrauen. Platz!« Die Menge machte ihn. Im Hinausgehen sah Adelheid unwillkürlich zurück. »Sie mögen sich entfernen, Herr von Bovillard,« hatte der Komissar diesem zugeflüstert, indem er anscheinend in seinem Taschenbuche Bemerkungen notirte. »Doch erst nachher, wenn die Menge sich verläuft. Sie verdanken diese Berücksichtigung dem Zeugniß des Herrn Legationsrath; Sie werden selbst am besten wissen, daß die Polizei andere über Sie hat.« Der junge Mann stand aufgerichtet, wie eine Bildsäule, regungslos; seine Hand wühlte krampfhaft in der Brust, nur die Augen schossen noch einen Blick auf Adelheids Begleiter, dessen Ausdruck sich nicht beschreiben lässt. Es war nicht mehr das Feuer des Zornes, nicht das Aufprasseln eines Brandes, der seinen Höhepunkt erreicht, es war die Gluth des Hasses, die still fortlodert, weil sie unerschöpflichen Stoff unter der Asche gefunden. Und doch zuckte dies stiere Auge, als es dem des jungen Mädchens begegnete, und senkte unwillkürlich die Augenlider.
»Eilen Sie!« rief ihr Begleiter. »Draußen ist frische Luft.« Sie schwankte an seinem Arm, als er sie durch die Thür gerissen.
»Nur einen – einen Augenblick nur!« – stöhnte sie im Vorzimmer. »O Gott, mein Vater, meine Mutter!« Sie war in einen Sessel im Vorzimmer gesunken. Der Retter hatte ein Etui mit kleinen Essenzfläschchen aus der Tasche gezogen und tupfte, vorsichtig Tropfen davon auf den Finger gießend, über ihre Stirn. Die Vorübergehenden machten ihre Glossen, es waren keine freundlichen. Ein Glück für die Ohnmächtige, daß sie nichts davon hörte. Ihr Begleiter hörte und verstand sie. Aber keine Miene, kein Blick verrieth ein innere Bewegung.
Er betrachtete die Ohnmächtige wie der Kenner ein Bildwerk. Als das Zimmer zufällig leer war, lüftete er vorsichtig das Tuch, das sie um sich geschlungen: »In der That ein Prachtwerk der Schöpferin. Fast zu schön, um es zu verschwenden, setzte er hinzu. Und doch, wenn wir es nicht verschwendeten, nicht mehr werth, als eine Mumie in einer Raritätensammlung.«
Erst die Tropfen aus dem letzten Fläschchen, die er noch behutsamer anwandte, brachten die Wirkung, die er beabsichtigt, hervor. Es musste eine sehr starke, gefährliche Essenz sein, denn nur, nachdem er verdrießlich nach der Uhr und der Sonne gesehen, und die Schläferin, ohne daß sie erwachte, stark am Arm gerüttelt, hatte er die doppelte Metallkapsel und den Stöpsel gelüftet. Sie war erwacht, aber ihre Augen, ihr Athmen, ihr Lächeln, bald auch ihre Sprache, zeugten von einer Einwirkung auf die Nerven, die der Retter nicht beabsichtigt hatte. Sie erhob sich und sprach in Extase. Es war das schöne Metall der Stimme, das vorhin fast berauschend ins Ohr der Zuhörer geklungen; aber hier nicht ein schneidender Laut der Todtenglocke, es klang und wogte melodischer, wie ein Lobgesang, als sie ihrem Retter ihren Dank aussprach, ihn versichernd, es werde alles gelingen, alles gut werden, er sollte nicht sorgen. Sie sprach sehr schnell. Der Legationsrath kniff sich ängstlich in die Lippen, als sie Schiller'sche Verse recitirte, von der Tugend, die kein leerer Wahn, von der Welt, die das Strahlende zu schwärzen liebe, aber die edlen Herzen schlügen überall, auch im Hause des Verderbens. O wie würde sich ihr herrlicher Lehrer freuen, welch ein Triumph für ihn, daß sein Wort in Erfüllung gehe: nur durch die Leiden, die großen Leiden, entwickele sich die Seele. Und wie erst würde ihr Vater sich freuen, wie sehne sie sich, ihm in die Arme zu sinken. Da, da! – sie zeigte ans Fenster. Die Thürme auf dem Gensd'armenmarkt glühten in der Abendsonne, in jener wunderbaren Pracht, wie sie ein kalter nordischer Abendhimmel zuweilen auf die Dächer und Spitzen höherer Gebäude ausgießt; die gelben Streiflichter am fernen Horizont deuteteten aber dem Kenner, daß diese schöne Röthe kein Vorbote eines schönes Tages sei. »Mein Vater sieht sie auch aus seinem Fenster, er freut sich, und er darf sich freuen, denn bald werde ich auch in seine Arme stürzen, roth von dieser Sonne angeleuchtet.«
»Wickeln Sie sich fester in Ihr Tuch, Mademoiselle. Sie sind erhitzt, und es ist sehr kühl draußen geworden.« Das Gewitter, das sich auswärts entladen, hatte eine empfindliche Kälte
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