Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Geheimräthin eine sehr gleichgültige Bekanntschaft sein. Aber sie stieß plötzlich den Schlag auf und breitete ihre Arme dem jungen Mädchen entgegen, welches der Legationsrath rasch hineinhob.
»Meine wertheste Demoiselle, mein liebes Kind, wie konnte ich auch nicht gleich die Tochter meines Freundes, des wackeren Kriegsraths erkennen! Das ist ja abscheulich, daß Ihre Gouvernante so wenig Ortskenntniß hat und sich in das Haus verirren musste! Aber wie sind Sie in diesem Jahre gewachsen, ach und wie echauffirt! Johann, schnell den Mantel aus dem Kasten! Ich hoffe, das wird nicht von üblen Folgen sein. Wie sie zittert! – Herr von Wandel, es giebt eine Justiz hier und einen König, der solchen Affront, einer achtungswerthen Familie angethan, strafen wird.«
»Dessen bin ich gewiß!« rief der Legationsrath seinen Hut abziehend.
»Mein Gott, Sie steigen doch auch ein?«
»Meine Gegenwart könnte stören.«
»Wie das? Wer verdient wie Sie den Dank des erfreuten Vaters entgegen zu nehmen? O rasch ein, daß ich das Vergnügen habe, dem Manne den Wohlthäter, den Retter seines Kindes zu präsentiren.«
»Erlauben Sie mir, ich bitte inständigst darum, Ihre gütige Einladung ablehnen zu dürfen. Es giebt Erörterungen, welche das Gefühl verwunden; die Wunde wird schmerzlicher, wenn ein fremder Mann sich in das Heiligthum des Familienkreises drängt. Vermuthungen könnten aufsteigen, die, so empörend sie klingen, doch immer ihr Recht verlangen. Den Dank, ach, mein Gott wer denkt in dieser Welt an Dank! – Es ist Ihr Schützling jetzt, tragen Sie das ganze Wohlwollen Ihres edlen Herzens auf die Arme über, und, wenn es anginge, verschweigen Sie meinen Namen. Ich übte nur die Pflicht eines jeden Kavaliers, weiter nichts, Sie setzen Ihren guten Namen an ein gutes Werk und auf die bloße Bitte eines Ihnen fremden Mannes. Vergönnen Sie ihm nur, dieser Tage seine Aufwartung zu machen, um sich nach dem Wohlergehen Ihres Schützlings zu erkundigen.«
»Ein Mann von seltener Delikatesse,« sagte die Geheimräthin, nachdem er sich beurlaubt. Adelheids Zustand erforderte ihre ganze Sorgfalt. Sie saß wieder sprachlos, in sich versunken, und ein heftiger Fieberfrost fing ihre Glieder zu schütteln an. Der Kutscher erhielt den Auftrag rasch zu fahren.
Zwanzigstes Kapitel.
Abällino, der große Bandit.
Als die Polizei die Thüren der Wohnung verschlossen hatte, war manches in derselben nicht mehr, wie es vorher gewesen. Die Volksjustiz hatte geglaubt, auch ihrerseits für die gekränkte Sitte Rache nehmen zu müssen. Die Polizei hatte ihr Auge auf andere Dinge gehabt, um ihren ungebetenen Helfershelfern überall auf die Finger sehen zu können, und diesem Umstand darf man es zuschreiben, daß, als sie die Wohnung räumte, eine Person, ganz von ihr übersehen, zurückgeblieben war.
Die Hände fest auf die Stirn gespannt, den Kopf auf die Stuhllehne gedrückt, saß, ob schlafend, träumend, in einen ohnmachtartigen Starrkrampf versunken, wir wissen es nicht, der junge Bovillard. Die Ruhe um ihn her mochte ihn wecken. Er sprang auf. Sein dunkles Auge stierte nach der Stelle, wo der Legationsrath zuletzt stand, wo er seinen Blick aushalten musste, und mehr als das, wo der Mann, der ihn tödtlich beleidigt, als sein Fürsprecher auftrat. Ihm verdankte er seine Freiheit und – doch hätte er eine Wollust darin empfunden, wenn er mit seinen Händen ihm die Kehle zuschnüren, wenn er ihn erwürgen können. Den Arm mit der geballten Faust streckte er aus – zum Zweikampf mit einem Luftbilde? Aber indem er ihm in dem Augenblick einen tödtlichen Haß schwur, übergoß ihn die Röthe der Scham. Wie Vielen hätte er den Todhaß schwören müssen, die alle Zeugen seiner Beschämung gewesen! Noch eine andere Erinnerung stieg auf, er drückte mit der Faust gegen die Stirn und athmete schwer. Dann suchte sein Auge an der Wand drüben, nach der Thür, durch welche Adelheid fortgeführt ward. »Und von dem Schuft!« Es war das erste laute Wort, und der Schall schien die neckischen Geister zu wecken, die an der Stätte der Zerstörung geschlummert hatten.
Im letzten Sonnenstrahl, der durch die oberen Scheiben drang, wirbelte der dichte Staub, der sich noch immer nicht gesetzt hatte. Es schwirrte in der Luft von Fasern und Federn, die Gardinen hingen zerrissen an den Fenstern, der Spiegel war zerschlagen, Stühle und Tische umgestürzt, den weiblichen Figuren auf den Gemälden hatte man mit Kohle große Bärte angemalt. Er
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