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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gekommen, dass Ihr Schock nicht ganz so groß sein wird, wenn Sie die Tatsachen von mir hören. Ich tue es nicht gern, denn es kommt weder für Sie noch für a n dere etwas Gutes dabei heraus. Im Gegenteil, es wird besonders Ihnen, Gwennie, sehr wehtun. Aber Sie wollen es sich ja nicht ersparen. Also: Ihr Vater war nicht schwindsüchtig, das fragliche Sanatorium war eine Ne r venheilanstalt.«
    »Eine Nervenheilanstalt?« Gwenda war sehr weiß im Gesicht geworden. »War er denn geisteskrank?«
    »Man kam nie zu einer genauen Diagnose. Meiner Me i nung nach war er nicht verrückt im landläufigen Sinn. Er hatte nur einen schweren Nervenzusammenbruch und litt an gewissen Wahnvorstellungen. Er ist freiwillig, auf e i genen Wunsch, ins Pflegeheim gegangen und hätte es nach Belieben jederzeit wieder verlassen können. Aber sein Zustand besserte sich nicht, und er starb dort.«
    »Wahnvorstellungen?«, wiederholte Giles fragend. »In welcher Weise?«
    »Er stand unter der Zwangsvorstellung, seine Frau e r drosselt zu haben«, sagte Dr. Kennedy trocken.
    Gwenda unterdrückte einen Aufschrei. Giles nahm ihre kalte Hand in die seine. »Und… war etwas dran?«, fragte er.
    »Wie bitte?« Dr. Kennedy starrte ihn an. »Nichts natü r lich! So etwas kam überhaupt nicht in Betracht.«
    »Woher wissen Sie das so genau?«, fragte Gwenda mit unsicherer Stimme.
    »Mein liebes Kind, das ist ausgeschlossen! Helen verließ Kelvin eines anderen Mannes wegen. Kelvin war schon seit Längerem in sehr labiler Verfassung – Angstträume, krankhafte Fantasien –, und der letzte Schock gab ihm den Rest. Ich bin kein Psychiater; die Kollegen vom Fach könnten solche Krankheitsbilder besser erklären. Wenn ein Mann seine Frau lieber tot als treulos sieht, ist er f ä hig, sich in den Wahn hineinzusteigern, sie sei wirklich tot – und er habe sie sogar selbst umgebracht.«
    Giles und Gwenda wechselten einen zur Vorsicht ma h nenden Blick. Dann sagte Giles ruhig:
    »Sie sind also überzeugt, dass er die Tat, deren er sich beschuldigte, keinesfalls wirklich begangen haben kann?«
    »Vollkommen. Helen hat mir nämlich hinterher noch zweimal geschrieben. Der erste Brief kam eine Woche nach ihrem Verschwinden aus Frankreich, der zweite nach etwa sechs Monaten. Nein, das Ganze war eine fixe Idee.«
    Gwenda atmete tief auf. »Bitte«, sagte sie, »können Sie uns nichts Genaueres erzählen?«
    »Alles, was ich weiß, Gwennie. Kelvin war schon seit einiger Zeit in einer seltsamen, neurotischen Verfassung. Er zog mich deswegen zurate. Er hatte immer wieder den gleichen entsetzlichen Traum, der jedes Mal auf dieselbe Art endete, dass er Helen erwürgte. Ich versuchte, dieser Störung auf den Grund zu kommen. Meines Erachtens musste es mit einem Konflikt in seiner frühen Kindheit zusammenhängen. Seine Eltern führten keine besonders harmonische Ehe… Nun, das gehört ins Gebiet der Ps y choanalyse, und ich habe Kelvin deswegen dringend ger a ten, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Ich hätte ihm ein halbes Dutzend erstklassige Fachärzte empfehlen können – aber er wollte nichts davon wissen und hielt alles für Unsinn.
    Natürlich hatte ich längst gemerkt, dass er und Helen nicht allzugut miteinander auskamen; aber da er nie da r über sprach, fühlte ich mich nicht zu irgendwelchen Fr a gen berechtigt. Die Krise trat an einem Freitagabend ein. Ich erinnere mich so genau, weil ich gerade aus dem Krankenhaus kam, und da saß Kelvin bei mir im Sprec h zimmer und sagte, er warte schon über eine Viertelstu n de. Und dann fügte er ganz ruhig hinzu: ›Ich habe Helen ermordet.‹
    Obwohl ich seine Hirngespinste kannte, war ich einen Moment wie vor den Kopf geschlagen. Er sagte es so kühl und sachlich. ›Du meinst, du hast wieder mal schlecht geträumt?‹, fragte ich endlich, und er antwortete: ›Nein, diesmal war es kein Traum. Es ist wahr. Sie liegt tot da. Ich habe sie erwürgt.‹
    Dann sagte er, immer noch ganz kalt und vernünftig: ›Du kommst wohl am besten gleich mit mir nachhause. Dann kannst du von dort aus die Polizei anrufen.‹ Ich wusste nicht, was ich denken sollte, aber ich holte meinen Wagen wieder aus der Garage, und wir fuhren hinüber. Das Haus war still und dunkel. Wir gingen hinauf ins Schlafzimmer…«
    »Ins Schlafzimmer?«, unterbrach Gwenda ihn erstaunt. Dr. Kennedy schien von diesem Zwischenruf leicht übe r rascht.
    »Ja, da sollte sich laut Kelvin alles abgespielt haben. Na, Sie ahnen es schon: Wir kamen hinauf –

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