Ruhe unsanft
»Jetzt müssen wir zusammen Tee trinken.«
Als die zugeknöpfte dunkle Dame erschien, bestellte er: »Tee, bitte, und – äh – Toast und Butter und – äh – Ke k se oder was sonst da ist.«
Die Haushälterin zog ein giftiges Gesicht, sagte aber: »Ja, Sir«, und verschwand.
»Normalerweise übergehe ich den Tee«, erklärte Dr. Kennedy vage. »Aber heute müssen wir feiern.«
»Wie reizend von Ihnen«, sagte Gwenda. »Nein, wir sind nicht nur auf Besuch gekommen. Wir haben ein Haus gekauft.« Sie hielt einen Moment inne. »Hillside«, fügte sie dann betont hinzu.
»Richtig, in Dillmouth«, wiederholte Dr. Kennedy u n beeindruckt. »Von dort haben Sie ja geschrieben.«
»Es war ein höchst erstaunlicher Zufall«, bemerkte Gwenda. »Nicht wahr, Giles?«
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte er. »Wirklich verblüffend.«
Angesichts der offenbaren Verständnislosigkeit des Doktors fügte Gwenda die Erklärung hinzu: ›»Hillside‹, das zufällig verkäuflich war, ist nämlich dasselbe Haus, in dem wir vor langer Zeit schon einmal gewohnt haben!«
Dr. Kennedy zog die buschigen Brauen zusammen. ›»Hillside‹? Aber das Haus hieß doch… Ach ja, ich habe gehört, dass es inzwischen umgetauft worden ist. Damals hieß es irgendetwas mit ›Saint‹, falls ich an das richtige Haus denke. Ist es auf der rechten Seite, wenn man von der Leahampton Road in die Stadt will?«
»Ja.«
»Dann stimmt es. Komisch, wie schlecht man sich an Namen erinnert. Halt! ›St. Catherine.‹ So hieß es seine r zeit.«
»Und dort haben Sie mich als Kind kennen gelernt, nicht wahr?«, fragte Gwenda.
»Ja, natürlich.« Wieder starrte er sie an, prüfend und amüsiert zugleich. »Warum wollten Sie gerade dahin? Sie konnten sich doch kaum an etwas erinnern.«
»Nein, aber irgendwie… fühlte ich mich gleich ang e heimelt.«
»Angeheimelt«, wiederholte der Arzt. Obwohl er dem Wort keinen besonderen Ausdruck gab, fragte Giles sich plötzlich, woran er dabei dachte.
»Sicher verstehen Sie nun«, fuhr Gwenda fort, »warum ich gern Näheres wüsste – über meinen Vater und Ihre Schwester Helen und… – « Sie stockte und endete etwas lahm: »… und alles.«
Er sah sie nachdenklich an.
»Ihre Verwandten in Neuseeland wussten nicht viel ü ber Helen, nehme ich an. Warum auch? Nun ja, da ist nicht viel zu sagen. Helen – meine Schwester – kam mit demselben Schiff aus Indien zurück wie Ihr Vater. Er war verwitwet und hatte eine kleine Tochter. Er tat Helen leid, oder sie verliebte sich in ihn; er war einsam, oder er verliebte sich in sie… Schwer zu beurteilen, was für jeden der Grund war. Auf jeden Fall heirateten sie gleich nach der Ankunft in London und kamen dann zu mir nach Dillmouth. Ich hatte damals meine Praxis dort. Kelvin Halliday war mir sympathisch, nur wirkte er gesundhei t lich und nervlich etwas angegriffen. Immerhin, die Ehe schien ganz glücklich zu sein, damals…« Dr. Kennedy schwieg einen Moment. »Trotzdem verging kaum ein Jahr, bis sie mit einem anderen durchbrannte. Das haben Sie doch sicher gewusst?«
»Nein. Mit wem?«, fragte Gwenda.
Seine kühlen Augen richteten sich auf ihr Gesicht.
»Das hat sie mir nicht erzählt. Soweit zog sie mich nicht ins Vertrauen. Ich ahnte schon eine Weile vorher – ich konnte nicht umhin, es zu merken –, dass es Reibereien zwischen ihr und Kelvin gab. Warum, weiß ich nicht. Nun war ich vielleicht schon immer etwas einseitig und stur in meinen Ansichten über eheliche Treue, und da Helen mich kannte, hat sie mich nicht eingeweiht. Natü r lich hörte ich die Leute tuscheln – wer tut das nicht, b e sonders als praktischer Arzt – aber in diesem Zusa m menhang fiel kein bestimmter Name. Kelvin und Helen hatten oft Gäste aus London oder von weiter her. Es wird wohl einer von denen gewesen sein.«
»Sie haben sich also nicht scheiden lassen?«
»Helen wollte keine Scheidung. Das sagte mir Kelvin einmal, und ich zog daraus den – vielleicht irrigen – Schluss, der Liebhaber sei verheiratet, womöglich auch Katholik oder habe eine katholische Frau.«
»Und mein Vater?«
»Der wollte die Scheidung erst recht nicht«, sagte Dr. Kennedy kurz.
»Bitte, erzählen Sie mir von ihm«, bat Gwenda. »Warum hat er mich plötzlich nach Neuseeland geschickt?«
Dr. Kennedy überlegte einen Moment, bevor er an t wortete: »Wahrscheinlich haben die Verwandten seiner ersten Frau, Ihrer Mutter, darauf gedrungen. Nach dem Scheitern der Ehe hielt er es wohl selbst
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