Ruhe unsanft
viel plauderte und ihre Heiterkeit etwas gezwungen war. Sie war freundlich und geschwätzig. Es sei so hübsch und erholsam hier, und war das nicht wundervoll? – Freunde von Freunden von ihr hatten an Freunde in Dillmouth geschrieben, und dadurch hatte sie ein paar ganz reizende Einladungen von Leuten aus dem Ort bekommen.
»Man fühlt sich nicht so als Außenseiter, wenn Sie wi s sen, was ich meine, sobald man Leute kennen lernt, die schon lange hier wohnen. So hat mich beispielsweise Mrs Fane zum Tee eingeladen. Sie ist die Witwe des Senio r chefs der besten Anwaltskanzlei hier. Eine ziemlich al t modische Familienfirma. Jetzt leitet sie der Sohn.«
So führte das freundliche Geplauder von einem zum anderen. Die Pensionswirtin war nett und gab sich rü h rend Mühe, für ihre Behaglichkeit zu sorgen… »Sie kocht wunderbar. Das ist einer der Gründe, warum meine alte Freundin, Mrs Bantry, mich hierher empfohlen hat; me i ne Wirtin war nämlich früher eine Zeit lang ihre Köchin. Sie und ihr Mann hatten hier eine alte Tante, die sie oft besuchten; daher waren sie mit dem Stadtklatsch von Dillmouth schon immer ziemlich vertraut. Übrigens, sind Sie mit Ihrem Gärtner zufrieden? Wie ich höre, soll er ein ziemlicher Drückeberger sein – mehr Gerede als Arbeit.«
»Ja, Reden und Teetrinken sind seine Spezialitäten«, sagte Giles lachend. »Er trinkt ungefähr fünf Tassen am Tag. Aber wenn wir dabei sind, arbeitet er großartig.«
»Möchten Sie unseren Garten sehen?«, fragte Gwenda.
Sie zeigten Miss Marple Haus und Garten, und Miss Marple sparte nicht mit den passenden Lobesworten. Wenn Gwenda befürchtet hatte, ihr scharfes Auge würde sofort irgendwelche Mängel feststellen, hatte sie sich g e irrt. Miss Marple blieb so harmlos und gelassen, dass Gwenda plötzlich ganz gegen ihren ursprünglichen Vo r satz Miss Marples Bericht über ein Kind und eine M u schel impulsiv unterbrach und zu Giles sagte:
»Es ist mir egal! Ich werde sie einweihen!«
Miss Marple wandte aufmerksam den Kopf. Giles öf f nete den Mund zum Widerspruch, stockte aber und sagte dann seufzend:
»Na schön, Gwenda, es ist schließlich deine Geschichte.«
Gwenda erzählte rückhaltlos von ihrem Besuch bei Dr. Kennedy, seinem Gegenbesuch in »Hillside« und ihrer Unterhaltung mit ihm.
»So etwas haben Sie sich schon in London gedacht, nicht wahr?«, fragte sie. »Dass – dass es mein Vater gew e sen sein könnte?«
»Ich habe die Möglichkeit in Betracht gezogen, ja. Diese Helen konnte sehr gut eine junge Stiefmutter sein, und wenn Frauen – äh – erwürgt werden, ist der Ehemann als Täter oft nicht auszuschließen.« Miss Marples Ton war nicht anders, als handle es sich um eine Naturersche i nung, über die man ohne Staunen oder Aufregung reden konnte.
»Jetzt begreife ich Ihren dringenden Rat, die Finger d a von zu lassen«, sagte Gwenda. »Hätte ich nur auf Sie g e hört! Aber nun können wir nicht mehr zurück.«
»Nein«, sagte Miss Marple, »zurück kann man nie.«
»Aber Sie sollten sich auch Giles anhören. Er hat gewi s se Einwände und Vermutungen.«
»Nur weil die Fakten nicht zusammenpassen«, sagte G i les und erklärte Miss Marple klar und einleuchtend, was er schon Gwenda zu bedenken gegeben hatte. »Hoffen t lich«, schloss er, »können Sie Gwenda überzeugen, dass es gar nicht anders gewesen sein kann.«
Miss Marple sah von einem zum andern. »Ihre Hyp o these ist sehr vernünftig, Mr Reed«, sagte sie. »Aber da bleibt immer noch, wie Ihnen selbst nicht entgangen ist, ein Faktor X.«
»X!«, wiederholte Gwenda verblüfft.
»Die unbekannte Größe«, verdeutlichte Miss Marple, die nicht wissen konnte, dass die jungen Leute schon auf denselben Ausdruck gekommen waren. »Sagen wir, j e mand, der noch nicht aufgetaucht ist, auf dessen Mitwi r kung aber die gegebenen Fakten schließen lassen.«
»Wir wollen das Sanatorium in Norfolk aufsuchen, wo mein Vater gestorben ist«, sagte Gwenda. »Vielleicht e r fahren wir da etwas.«
10
D as Sanatorium »Saltmarsh House« lag in einer landschaftlich schönen Gegend, etwa sechs Meilen von der Ostküste entfernt und mit guten Verkehrsverbindungen von der nahen Krei s stadt South Benham nach London.
Giles und Gwenda wurden in einen großen, luftigen Aufenthaltsraum mit geblümten Vorhängen geführt. Bald nach ihnen trat eine reizend aussehende weißhaarige alte Dame mit einem Glas Milch in der Hand ein, nickte i h nen zu und setzte sich in die Nähe des
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