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Ruhe unsanft

Ruhe unsanft

Titel: Ruhe unsanft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Gestrüpp hinauf.
    »Warum sind wir nur hergekommen«, meinte Giles zu Gwenda. »Was sagen wir denn?«
    »Das, was wir uns ausgedacht haben.«
    »Ja, wenn es möglich ist. Ein Glück, dass der Schwager der Schwester von Miss Marples Kusine oder so ähnlich hier in der Nähe wohnt. Aber von Höflichkeitsbesuchen bis zum Verhör des Hausherrn über ehemalige Liebesa f fären ist ein kühner Schritt.«
    »Es ist so lange her. Vielleicht erinnert er sich nicht mehr.«
    »Vielleicht. Vielleicht hat es überhaupt keine solche Liebesgeschichte gegeben.«
    »Machen wir uns nicht gründlich lächerlich, Giles?«
    »Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich es beinahe. Warum befassen wir uns eigentlich mit dem alten Kram? Was geht es uns noch an?«
    »Ja, schon Miss Marple und Dr. Kennedy haben gesagt: Lasst die Finger davon. Warum tun wir es nicht, Giles? Was treibt uns? Ob sie es ist?«
    »Wer?«
    »Helen. Ist das der Grund, warum die Erinnerungen wachwerden? Sind meine Kindheitseindrücke das Einz i ge, was ihren Geist noch mit dem Leben verbindet? Mit der Wahrheit? Gebraucht sie mich – und dich – als Werkzeug, um die Wahrheit ans Licht zu bringen?«
    »Weil sie eines gewaltsamen Todes gestorben ist?«
    »Ja. Es heißt, und das steht auch in alten Büchern, dass Ermordete keine Ruhe im Jenseits finden, ehe nicht…«
    »Gwenda, du hast zu viel Fantasie.«
    »Möglich. Jedenfalls können wir noch wählen. Dies ist nur ein harmloser Besuch. Wir können bei unserem Vo r wand bleiben und kein Wort von dem sagen, was uns wirklich herführt.«
    Giles schüttelte den Kopf.
    »Wir machen weiter. Wir können nicht über unseren Schatten springen.«
    »Ja, du hast Recht, Giles. Trotzdem, ich glaube, ich h a be Angst.«
     
    »Also, Sie sind auf Haussuche?«, sagte Major Erskine und reichte Gwenda die Platte mit den Sandwiches. Gwenda nahm eines und sah ihren Gastgeber an. Er war schlank, nur wenig über mittelgroß, grauhaarig, und um seine A u gen lag ein müder, nachdenklicher Zug. Seine Stimme war tief und angenehm. Er hatte eigentlich nichts Auffa l lendes an sich, fand Gwenda, war aber sehr attraktiv. Nicht halb so gut aussehend wie Walter Fane, doch keine Frau konnte Erskine so gleichgültig übersehen wie den armen Walter. Erskine hatte bei aller Zurückhaltung das, was man Persönlichkeit nannte. Er redete nur über alltä g liche Dinge, aber er strahlte das gewisse Etwas aus, auf das Frauen sehr weiblich reagierten. Gwenda ertappte sich dabei, dass sie ihren Rock glatt strich und an einer Seitenlocke zupfte. Vor vielen Jahren hätte sich Helen Kennedy durchaus in diesen Mann verlieben können – dessen war sie ganz sicher.
    Bei diesem Gedanken fühlte sie plötzlich den Blick der Gastgeberin auf sich ruhen und errötete unwillkürlich. Mrs Erskine unterhielt sich mit Giles, ließ aber Gwenda kaum aus den Augen, deren Ausdruck halb anerkennend, halb argwöhnisch war. Sie war eine große Frau mit tiefer, fast männlicher Stimme und athletischem Körperbau. Dazu passte das strenge Tweedkostüm, das sie trug. Sie wirkte älter als ihr Mann, obwohl das wahrscheinlich nur an einer gewissen Härte ihrer Züge lag. Eine vergrämte, unbefriedigte Frau, urteilte Gwenda in Gedanken. Ich wette, sie macht ihm ganz schön die Hölle heiß.
    Laut führte sie das begonnene Gespräch weiter:
    »Wir sind von der vergeblichen Suche schon ganz ze r mürbt. Die Makler schildern alles in den glühendsten Farben, und wenn man hinkommt, ist es eine Bruchb u de.«
    »Wollen Sie sich unbedingt hier in Northumberland niederlassen?«
    »Nein, aber wir ziehen die Gegend in die engere Wahl. Hauptsächlich wegen des Hadrianswalls. Mein Mann schwärmt für römische Überreste. Es mag für Sie seltsam klingen, aber es ist uns eigentlich gleich, wo wir in En g land bleiben. Wir sind in Neuseeland aufgewachsen und haben hier keine engeren Bindungen. Nur wollen wir nicht zu nahe bei London wohnen. Wir sind beide fürs Ländliche.«
    Erskine lächelte.
    »Nun, ländlich genug ist es hier allerdings. Wir leben i soliert wie in einer Einsiedelei. Unsere paar Nachbarn wohnen weit verstreut.«
    Gwenda glaubte in seiner angenehmen Stimme einen resignierten Unterton zu entdecken. Sie hatte plötzlich eine Vision von Einsamkeit: kurze, düstere Wintertage, heulender Wind im Kamin, zugezogene Vorhänge, eing e sperrt und allein mit dieser vergrämten, hungrig blicke n den Frau. Und nur wenige Nachbarn, die weit im U m kreis verstreut wohnten.
    Die Vision schwand.

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