Ruhe unsanft
starrte Miss Marple in aufdämmerndem Ve r stehen an.
»Sie meinen, dass man sie dort…«
»Irgendeinen Grund muss es für die Änderung gegeben haben, und einen vernünftigeren kann ich nicht finden. Die Stufen zum Rasen sind jetzt am ungünstigsten Platz. Dafür ist das Ende der Terrasse sehr ruhig und vom Hause nicht einzusehen – außer vom Kinderzimmerfen s ter aus. Nun muss, wer die Erde aufgräbt, zu welchem Zweck auch immer, einen Grund dafür finden, und einen solchen Grund bot nach außen hin – die Verlegung der Stufen. Dr. Kennedy hat mir erzählt, dass seine Schwester und ihr Mann den Garten sehr liebten und die meiste Arbeit selbst taten. Dem Aushilfsgärtner, den sie nur g e legentlich beschäftigten, dürfte es daher gar nicht aufg e fallen sein, dass sie mal wieder ohne ihn eine Änderung vorgenommen hatten. Natürlich hätte die Leiche auch an jedem anderen Ort des Gartens vergraben werden kö n nen, aber ich glaube, der richtige Platz ist der am Ende der Terrasse, nicht in Sichtweite des Salons.«
»Es klingt plausibel«, sagte Gwenda, »aber wieso sind Sie so sicher?«
»Die letzte Bestätigung stand für mich in dem Brief der armen Lily. Sie deutete an, Leonie habe damals vom Fenster aus etwas gesehen. Die junge Schweizerin muss nachts aus dem Kinderzimmerfenster gesehen und j e mand beim Graben beobachtet haben. Vielleicht sah sie sogar, wer es war.«
»Und hat der Polizei kein Wort verraten?«
»Meine Liebe, damals war ja noch keine Rede von e i nem Verbrechen. Mrs Halliday war mit einem Verehrer durchgebrannt, das war alles, was Leonie mitbekam, z u mal sie wahrscheinlich nicht gut Englisch konnte. Lily hat sich ihre Bemerkung, sie habe vom Fenster aus etwas Seltsames beobachtet, später auf ihre fantasievolle Art zurechtgebogen. Auf jeden Fall wollten sie alle, auch L e onie, nichts mit der Polizei zu tun haben; besonders Au s länder pflegen sich im fremden Land sehr davor zu scheuen. Leonie wird kaum noch an die ganze Sache g e dacht haben, als sie in die Schweiz zurückkehrte.«
»Wenn sie noch lebt?«, sagte Giles. »Wenn man sie fi n den könnte?«
»Die Polizei kann das viel besser als wir«, sagte Miss Marple.
»Inspektor Last will morgen Vormittag herkommen.«
»Dann würde ich ihm an Ihrer Stelle von den Terra s senstufen erzählen.«
»Und was ich als Kind in der Halle sah – oder zu sehen glaubte?«, fragte Gwenda nervös.
»Ja, meine Liebe. Es war sehr klug von Ihnen, es bis jetzt nicht zu erwähnen – sehr klug. Aber nun, glaube ich, ist die Zeit reif dafür.«
»Sie wurde also in der Halle erdrosselt«, überlegte Giles. »Der Mörder schleppte sie hinauf ins Schlafzimmer und legte sie aufs Bett. Halliday kam vom Golfplatz nachha u se, trank den gedopten Whisky, verlor das Bewusstsein und wurde ebenfalls nach oben befördert. Als er zu sich kam, sah er die Leiche und musste glauben, er selbst hätte Helen getötet. Der Mörder muss irgendwo in der Nähe gewesen sein. Als Halliday aus dem Haus stürzte und zu Dr. Kennedy lief, versteckte er die Leiche – wahrschei n lich im Gebüsch bei der Terrasse –, wartete, bis alle schliefen, und vergrub sie. Das heißt, der Mörder muss hier beim Haus gewesen sein, fast die ganze Nacht.«
Miss Marple nickte, und Giles fuhr fort:
»Er musste am Ort des Verbrechens bleiben. Sie beto n ten immer, Miss Marple, wie wichtig dieser Punkt sei. Wer von unseren drei Verdächtigen passt am besten ins Bild? Nehmen wir Erskine zuerst. Er war hier. Er hat selbst zugegeben, Helen am Strand getroffen und gegen neun Uhr nachhause begleitet zu haben. Dann behaupt e te er, hätten sie sich für immer getrennt. Aber stimmt das? Wenn er sie nun stattdessen erwürgt hat?«
»Zwischen den beiden war doch alles vorbei!«, rief Gwenda. »Er sagte selbst, sie sei ihm ausgewichen und praktisch nie mit ihm allein gewesen!«
»Verstehst du denn nicht, Gwenda, dass wir in diesem Stadium nicht auf die Aussage von irgendjemand bauen können?«
»Es freut mich, das von Ihnen zu hören«, sagte Miss Marple. »Ich muss gestehen, dass Ihre bisherige Gutglä u bigkeit mir etwas Sorge gemacht hat. Sie schienen immer alles für bare Münze zu nehmen, was Ihnen die Leute erzählten. Ich bin leider von Natur etwas argwöhnisch, aber wenn es sich um Mord handelt, habe ich es mir zur Regel gemacht, nichts für wahr zu halten, solange es nicht hieb- und stichfest bewiesen ist. Zutreffend scheint mir zum Beispiel Lilys Bemerkung, dass keine Frau so unsi n nig
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