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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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versteckt war.
    Für eine oder zwei Wochen wohnte sie ungestört in Battersea, während in anderen Weltgegenden der Krieg tobte. Die Japaner schienen sich ungehindert über ganz Südostasien auszubreiten, in Nordafrika gab es neue Rückschläge für die britischen Truppen. Sie dachte täglich an Romer und fragte sich, was er trieb – im sicheren Glauben, dass auch er an sie dachte. Luftangriffe fanden noch statt, aber nicht mehr mit der gnadenlosen Härte des Blitzkriegs. Ein paar Nächte verbrachte sie im Schutzbunker von Mrs Dangerfield, der am Ende des schmalen Gartens gelegen war, und verwöhnte sie mit erfundenen Geschichten von ihrem Leben in den USA. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen vernahm Mrs Dangerfield die Mär von Reichtum und Verschwendung in Amerika, von Überfluss und demokratischer Freizügigkeit. »Da wäre ich doch nie im Leben zurückgekommen, meine Liebe«, sagte Mrs Dangerfield mit ehrlicher Empfindung und griff nach Evas Händen. »Vor ein paar Tagen noch haben Sie Cocktails getrunken im Asporia-Waldorf oder wie das heißt, und jetzt sitzen Sie hier unter diesem unnützen Blechdach in Battersea und lassen sich von den Deutschen bombardieren. Ich an Ihrer Stelle wäre hübsch dort geblieben, meine Liebe. Da wären Sie viel besser dran als in diesem traurigen London, das in Schutt und Asche gebombt wird.«
    Ihr war klar, dass sie nicht lange in dieser merkwürdigen Vorhölle verweilen konnte, die schon an ihren Nerven zu zehren begann. Sie musste agieren, sich Informationen beschaffen, und seien sie noch so mager. Sie war desertiert, sie war frei, sie hatte ihre neue Identität, mit Pass, Rationsbuch und Lebensmittelmarken, aber ihr war bewusst, dass es nur ein kurzes Atemholen war, eine kleine Verschnaufpause. Bis sie sich wirklich sicher fühlen konnte, musste sie noch ein gutes Stück Wegs zurücklegen.
    Also verbrachte sie zwei Tage vorm Electra House am Embankment und sah die Angestellten kommen und gehen, bis sie Alfie Blytheswood entdeckte, als er abends aus dem Portal kam. Sie folgte ihm bis zu seinem Haus nach Barnet und am nächsten Morgen von seinem Haus zur Arbeit.
     
    In ihrem Zimmer in Battersea durchdachte sie die neue Lage nach der Begegnung mit Blytheswood. Morris, Angus und Sylvia waren tot – aber sie hatte als Erste sterben sollen. Hatte sie mit ihrem Geniestreich in Las Cruces vielleicht bewirkt, dass der Tod der anderen unausweichlich wurde? Romer konnte kein Risiko mehr eingehen, nachdem Morris ihn als Gespenst entlarvt hatte, und schließlich wusste auch Eva davon. Was, wenn Morris auch Sylvia oder, wahrscheinlicher noch, Angus eingeweiht hatte? Angus hatte sich in jenen letzten Tagen recht merkwürdig verhalten – vielleicht hatte Morris irgendetwas angedeutet … Romer konnte ein solches Risiko nicht eingehen, auf keinen Fall, also machte er sich daran, den AAS Ltd. zu liquidieren, mit Sorgfalt und Raffinesse, ohne selbst Spuren zu hinterlassen. Morris’ Selbstmord, dann das Durchsickern von Informationen über den Flug einer Sunderland von Lissabon nach Poole – mit Datum und Uhrzeit und einem hohen Offizier an Bord als Tarnung … Das sprach dafür, dass eine wirkliche Macht dahinterstand, ein riesiges, machtvolles Netzwerk mit vielen Schaltstellen. Aber Eva war noch immer auf freiem Fuß, und allmählich fragte sie sich, ob sie die Kette ihrer Identitätswechsel ad infinitum fortsetzen konnte. Wenn Romer den Abschuss eines Wasserflugzeugs über der Biskaya bewerkstelligen konnte, würde er nicht lange brauchen, um Lily Fitzroy aufzuspüren – zumal er den Namen schon kannte. Es würde nicht lange dauern, bis die schwerfällige, aber hartnäckige englische Kriegsbürokratie den Namen Lily Fitzroy auf die eine oder andere Weise zutage förderte. Und was dann? Eva wusste nur zu gut, wie diese Dinge geregelt wurden: ein Autounfall, der Sturz aus einem hohen Gebäude, ein Raubüberfall bei Verdunkelung, der zum Mord wurde …
    Sie musste die Kette durchbrechen, das war ihr jetzt klar. Mrs Dangerfield kam die Treppe herauf.
    »Lily, meine Liebe, wie wär’s mit einem Tässchen Tee?«
    »Wunderbar, ja, bitte!«, rief sie.
    Lily Fitzroy, beschloss sie, musste verschwinden.
     
    Sie brauchte einen oder zwei Tage, um zu überlegen, wie sie es bewerkstelligen konnte. Im zerbombten London gab es ständig Leute, die alle Habe verloren. Was machte man, wenn das Haus einstürzte und abbrannte, während man in Unterwäsche im Luftschutzkeller hockte? Man stolperte

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