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Ruhelos

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Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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und an die Bar ging, entschuldigte sie sich bei den anderen, sie wolle sich frisch machen. Sie folgte dem Mann zur Bar und sagte, sie hätte lieber ein kleines Glas Panache anstelle des Gin Orange.
    »Verstanden«, sagte er. »Also dann ein kleines Panaché.«
    »Wie war gleich Ihr Name?«, fragte sie.
    »Ich bin Sean. Die beiden anderen heißen David und Eamonn. Eamonn ist der Komödiant, wir sind sein Publikum.«
    »Sean weiter?«
    »Sean Gilmartin.« Er drehte sich um und schaute sie an. »Und wie war Ihr Name noch mal, Sally?«
    »Sally Fairchild«, sagte sie und fühlte die Vergangenheit von sich abfallen wie lose Fesseln. Sie trat näher an ihn heran, als er ihr das Glas überreichte, so nah, wie sie konnte, ohne ihn zu berühren, und blickte auf zu seinen wissenden, sanft lächelnden Augen. Die Geschichte der Eva Delektorskaja hatte ihr natürliches Ende gefunden.

13
Unter vier Augen
    »So hast du also meinen Dad kennengelernt?«, sagte ich. »Du hast ihn in einem Pub aufgelesen?«
    »Das kann man so sagen.« Meine Mutter seufzte und wirkte ein wenig abwesend, vermutlich, weil sie daran zurückdachte. »Ich war auf der Suche nach dem Richtigen – schon seit Tagen –, und dann sah ich ihn. So, wie er nach innen lachte. Da wusste ich sofort Bescheid.«
    »Es war also keine Berechnung?«
    Sie bekam ihren harten Blick – wie immer, wenn ich aus der Reihe tanzte, wenn ich ihr gar zu vorwitzig wurde.
    »Ich habe deinen Vater geliebt«, sagte sie leise. »Er hat mich gerettet.«
    »Tut mir leid«, erwiderte ich matt. Ich schämte mich ein wenig und schob alles auf den Kater: Noch immer musste ich für Hamids Abschiedsparty büßen. Ich fühlte mich schlapp und konnte keinen klaren Gedanken fassen, mein Mund war trocken, mein Körper verlangte nach Wasser, mein anfangs »milder« Kopfschmerz hatte sich zur Kategorie »hartnäckig/pochend« weiterentwickelt.
    Der Rest der Geschichte war schnell erzählt. Nach der Begegnung im Heart of Oak hatte es noch ein paar Rendezvous gegeben – Einladungen zum Essen, einen Tanzabend in der Botschaft, einen Kinobesuch –, und sie merkten, dass sie sich langsam, aber sicher näherkamen. Sean Gilmartin konnte ihr dank seiner diplomatischen Kontakte die Wege ebnen, als es darum ging, einen Pass und andere Papiere für Sally Fairchild zu beschaffen. Im März 1942 fuhren sie nach Dublin, wo er sie seinen Eltern vorstellte, und zwei Monate später heirateten sie in St. Saviour’s an der Duncannon Street. Aus Eva Delektorskaja war Sally Fairchild geworden, aus Sally Fairchild Sally Gilmartin, und seitdem wusste sie, dass sie in Sicherheit war. Nach dem Krieg ging Sean Gilmartin mit seiner jungen Frau zurück nach England und trat einer Anwaltskanzlei in Banbury, Oxfordshire, als Juniorpartner bei. Die Kanzlei prosperierte, Sean Gilmartin wurde Seniorpartner, und 1949 bekamen sie ein Kind, ein Mädchen, das sie Ruth nannten.
    »Und du hast nie wieder etwas gehört?«
    »Nichts, keinen Ton. Ich war ihnen völlig entkommen – bis jetzt.«
    »Was ist aus Alfie Blytheswood geworden?«
    »1957 gestorben. Am Schlaganfall, glaube ich.«
    »Wirklich?«
    »Ich glaube, schon. Der Abstand war zu groß.«
    »Gab es noch Probleme mit der Fairchild-Identität?«
    »Ich wohnte als Ehefrau in Dublin – als Mrs Sean Gilmartin –, ein völlig neues Leben, eine völlig neue Umgebung; niemand wusste, was Sally Fairchild zugestoßen war.« Sie schwieg und lächelte, als würde sie die vielen Identitäten, die sie durchlebt hatte, Revue passieren lassen.
    »Was ist aus deinem Vater geworden?«, fragte ich.
    »Er ist 1944 gestorben, in Bordeaux. Ich bat Sean, ihn über die Londoner Botschaft suchen zu lassen, nach dem Krieg – er sei ein alter Freund der Familie, behauptete ich.« Sie spitzte die Lippen. »So oder so. Ich hätte ihn doch nicht besuchen können. Auch Irène habe ich nicht wiedergesehen. Es wäre zu riskant gewesen.« Sie blickte auf. »Was treibt denn der Junge da?«
    »Jochen! Lass ihn in Ruhe!«, schrie ich. Unter dem Lorbeerstrauch hatte er einen Igel aufgespürt. »Die sind voller Flöhe.«
    »Was sind denn Flöhe?«, rief er und ging dann doch auf Distanz zu der stachligen Kugel.
    »Grässliche Insekten, die dich am ganzen Körper stechen.«
    »Und ich will, dass er in meinem Garten bleibt!«, schrie meine Mutter nun auch. »Er vertilgt die Schnecken.«
    Angesichts unserer vereinten Ermahnungen vergrößerte Jochen seinen Abstand, hockte sich hin und schaute zu, wie sich der Igel

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