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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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hinein. Wieder war alles sauber und aufgeräumt – kein Hinweis auf einen plötzlichen Aufbruch, keine Zeichen von Panik oder Hast. Ich lief langsam durch die Zimmer, schaute mich um, suchte nach der Erklärung, irgendeiner Auffälligkeit, die mir etwas signalisieren sollte, und schließlich wurde ich fündig.
    Welcher Mensch, der noch bei Sinnen war, hätte in einer schwülwarmen Nacht wie der letzten den Wohnzimmerkamin angezündet? Meine Mutter hatte es getan, eindeutig, denn auf dem Rost lagen verkohlte Scheite, und die Asche war noch warm. Ich hockte mich vor die Öffnung und suchte mit dem Schürhaken nach Resten verbrannter Papiere – vielleicht hatte sie irgendein anderes Geheimnis aus der Welt geschafft –, aber ich fand nichts, was darauf hinwies. Dann fiel mein Blick auf eins der Scheite. Mit der Feuerzange fischte ich es heraus und hielt es in der Küche unter den Wasserhahn – es zischte, als das kalte Wasser die Asche wegspülte –, und darunter kam die glänzende Kirschholzmaserung zum Vorschein. Ich trocknete das Stück Holz mit einem Blatt von der Küchenrolle ab, und obwohl es halb verkohlt war, gab es keinen Zweifel: Es war ganz offensichtlich ein Gewehrkolben, abgesägt direkt hinter dem Handgriff. Ich lief hinaus in die Garage, wo sie eine kleine Werkbank hatte und ihre Gartengeräte unterbrachte (immer geölt und ordentlich weggeräumt). Auf der Werkbank, neben dem Schraubstock, lag eine Metallsäge und drum herum verstreut die kleinen silbrigen Späne. Die Gewehrläufe steckten in einem Kartoffelsack, der unter der Werkbank lag. Sie hatte sich kaum Mühe gegeben, ihr Tun zu verbergen, auch der Gewehrkolben war eher angesengt als verkohlt. In meinem Bauch zog sich etwas zusammen; teils war mir, als müsste ich lachen, teils hatte ich das Gefühl, ganz dringend aufs Klo zu müssen. Jetzt, da ich nun schon langsam so dachte wie sie, begriff ich: Sie hatte gewollt, dass ich am Sonntagmorgen zurückkam, um das Haus leer zu finden; sie hatte gewollt, dass ich mich umsah und diese Dinge vorfand – und jetzt erwartete sie von mir, dass ich die richtigen Schlüsse zog.
     
    Gegen sechs Uhr abends war ich in London. Jochen hatte ich bei Veronica und Avril untergebracht, jetzt musste ich nur noch versuchen, meine Mutter zu finden, bevor sie Lucas Romer umbrachte. Ich fuhr mit dem Zug bis Paddington, dann mit dem Taxi nach Knightsbridge. Den Namen der Straße, in der Romer wohnte, hatte ich behalten, aber nicht die Hausnummer. Dem Taxifahrer sagte ich, er solle mich zum Walton Crescent fahren und an einem der beiden Enden absetzen. Auf meinem Londoner Stadtplan sah ich, dass es eine Walton Street gab – sie schien direkt zu den Pforten von Harrods zu führen – und einen Walton Crescent, der von der Walton Street abzweigte und im Bogen zu ihr zurückführte. Ich zahlte, stieg hundert Meter vorher aus und ging zu Fuß weiter zum Crescent. Währenddessen versuchte ich, mich in meine Mutter hineinzuversetzen und genau das zu tun, was sie tun würde. Immer schön der Reihe nach, sagte ich mir; erst einmal die Umgebung erkunden.
    Walton Crescent stank nach Geld, Upperclass, Standesdünkel, aber auf diskrete Weise, unaufdringlich und kaum spürbar. Alle Häuser sahen fast gleich aus, bis man sie näher in Augenschein nahm. Ein bogenförmiger Park lag der sanft geschwungenen Zeile aus dreistöckigen, mit cremefarbigem Stuck versehenen Reihenhäusern gegenüber, jedes der Häuser besaß einen kleinen Vorgarten und je drei große hohe Fenster im ersten Stock, die auf einen Balkon mit filigranem Eisengeländer hinausgingen. Die Vorgärten waren gepflegt und, dem allgemeinen Verbot zu wässern zum Trotz, von einem satten Grün. Auf meinem Rundgang sah ich Buchsbaumhecken, Rosen, verschiedene Clematis-Sorten und bemooste Statuen. Beinahe jedes Haus hatte eine Alarmanlage, viele Fenster waren mit Läden verschlossen, andere mit Rollgittern hinter den Scheiben gesichert. Ich war fast allein auf der Straße, eine Amme schob einen Kinderwagen vorbei, ein grauhaariger Gentleman beschnitt eine niedrige Eibenhecke mit pedantischer, liebevoller Sorgfalt. Der weiße Allegro meiner Mutter parkte gegenüber der Nummer 29.
    Ich beugte mich vor und klopfte energisch an die Scheibe. Sie drehte sich um, schien aber kaum überrascht, mich zu sehen. Lächelnd langte sie hinüber zur Beifahrertür, um mir zu öffnen.
    »Du hast aber lange gebraucht«, sagte sie. »Trotzdem – nicht schlecht.« Sie trug ihren perlgrauen

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