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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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aus, mit einiger Mühe, ein wenig gebeugt, vielleicht steif von der langen Fahrt. Er tauschte ein paar Worte mit dem Fahrer, der wieder einstieg und davonfuhr. Romer ging zu seinem Gartentor, er trug ein Tweedjackett und graue Flanellhosen, dazu Wildlederschuhe. Über der Tür der Nummer 29 ging ein Licht an, zeitgleich mit den Gartenlampen, die den Plattenweg zur Haustür beleuchteten, einen Kirschbaum, einen steinernen Obelisk hinter der Hecke.
    Meine Mutter gab mir einen Schubs, und ich öffnete die Tür.
    »Lord Mansfield?«, rief ich und trat auf die Straße hinaus. »Kann ich Sie kurz sprechen?«
    Romer drehte sich sehr langsam zu mir um.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Ruth Gilmartin – wir haben uns neulich getroffen.« Ich ging über die Straße, auf ihn zu. »In Ihrem Club – ich wollte Sie interviewen.«
    Er blickte mich forschend an. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Seine raue Stimme war beherrscht, unaufgeregt. »Das gab ich Ihnen bereits zu verstehen.«
    »Oh, ich glaube, doch«, sagte ich und fragte mich, wo meine Mutter blieb. Ich sah und hörte sie nicht, ich hatte keine Ahnung, wohin sie verschwunden war.
    Er lachte und öffnete die Gartenpforte.
    »Gute Nacht, Miss Gilmartin. Hören Sie auf, mich zu belästigen. Gehen Sie weg.«
    Mir fiel nichts mehr ein – ich war abgewiesen.
    Er schloss die Pforte von innen, und ich sah, wie hinter ihm jemand die Haustür öffnete, nur einen Spaltbreit, damit sich Romer nicht mit Schlüsseln oder ähnlich vulgären Dingen abgeben musste. Romer sah, dass ich noch dastand, und suchte mit geübtem Blick die Straße ab. Dann wurde er sehr still.
    »Hallo, Lucas«, sagte meine Mutter aus der Dunkelheit.
    Sie schien aus der Buchsbaumhecke hervorgewachsen zu sein – ohne sich zu rühren, stand sie plötzlich da.
    Romer war für einen Moment wie gelähmt, dann richtete er sich auf, steif wie ein Soldat bei der Parade, als hätte er Angst, umzufallen.
    »Wer sind Sie?«
    Jetzt trat sie einen Schritt vor, und das abendliche Zwielicht zeigte ihr Gesicht, ihre Augen. Wie schön sie aussieht, dachte ich, als hätte sie sich auf wundersame Weise verjüngt, als wären fünfunddreißig Lebensjahre aus ihrem Gesicht gelöscht.
    Ich schaute Romer an – er wusste, wer sie war, und verharrte stumm, eine Hand am Zaunpfahl. Wie hat er wohl diesen Moment empfunden, fragte ich mich – diesen unvergleichlichen Schock? Aber er ließ sich nichts anmerken, brachte nur die Andeutung eines ungewissen Lächelns zustande.
    »Eva Delektorskaja«, sagte er kaum hörbar. »Wer hätte das gedacht.«
     
    Wir standen in Romers großem Salon in der ersten Etage – er hatte uns keinen Platz angeboten. Noch an der Gartenpforte hatte er nach dem ersten Schock die Fassung wiedergewonnen und zu seiner leicht gelangweilten Gelassenheit zurückgefunden. »Vielleicht sollten Sie doch besser hereinkommen«, hatte er gesagt. »Sie haben mir bestimmt etwas mitzuteilen.« Wir waren ihm über den Kiesweg zur Haustür und ins Haus gefolgt, wo ein dunkelhaariger Mann mit weißem Jackett im Korridor wartete – und recht verdutzt wirkte. Von einer Küche irgendwo am Ende des Flurs hörte man Geschirrklappern.
    »Ah, Pjotr«, sagte Romer. »Ich bin in einer Minute wieder unten. Sag Maria, sie soll alles warm stellen, dann kann sie gehen.«
    Darauf folgten wir ihm die geschwungene Treppe hinauf in den Salon. Er war im englischen Landhausstil der dreißiger Jahre gehalten: wenige gute Stücke dunklen Mobiliars – ein Sekretär, ein Glasschrank mit Fayencen, Läufer auf dem Boden und bequeme alte Sofas mit Überwürfen und Kissen, aber die Gemälde an den Wänden waren modern. Ich sah einen Francis Bacon, einen Burra und ein exquisites Stillleben – eine leere Zinnschale vor einer silber getönten Vase mit zwei welkenden Mohnblüten. Das Gemälde sah aus wie beleuchtet, aber es gab keine Punktstrahler – der pastose Glanz der Zinnschale und der Vase erzeugte diesen Effekt erstaunlicherweise von sich aus. Um mich abzulenken, schaute ich die Bilder an; ich befand mich in einem merkwürdigen Taumel der Panik – einer Kombination aus Erregung und Angst, die ich seit meiner Kindheit nicht mehr erlebt hatte, und damals auch nur dann, wenn ich absichtlich etwas Falsches oder Verbotenes gemacht hatte und mir schon das Ertapptwerden vorstellte, die Schuld und die Strafe – was wohl überhaupt den Reiz des Verbotenen ausmacht, wie ich vermute. Ich schaute zu meiner Mutter hinüber: Sie fixierte Romer mit

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