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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Hosenanzug, ihr Haar war frisiert und glänzte wie frisch vom Friseur, sie hatte Lippenstift aufgelegt, ihre Wimpern waren schwarz getuscht.
    Ich wartete eine kleine Zornesaufwallung ab, bevor ich auf den Beifahrersitz kletterte. Und als ich meine Schimpfkanonade beginnen wollte, bot sie mir ein Sandwich an.
    »Was ist drauf?«, fragte ich.
    »Lachs mit Gurke. Aber kein Büchsenlachs.«
    »Mayonnaise?«
    »Nur ein bisschen – und etwas Dill.«
    Ich nahm das Sandwich entgegen und schlang ein paar Bissen hinunter. Plötzlich hatte ich Hunger, und das Sandwich schmeckte köstlich.
    »Um die Ecke ist ein Pub«, sagte ich. »Warum gehen wir nicht dorthin und reden in aller Ruhe? Ich mach mir große Sorgen, das muss ich schon sagen.«
    »Nein, dann verpasse ich ihn«, sagte sie. »Sonntagabend kommt er sicher vom Land zurück, von seinem Haus oder von Freunden. Vor neun dürfte er hier sein.«
    »Ich lasse nicht zu, dass du ihn umbringst. Ich warne dich, ich …«
    »Sei nicht albern!« Sie lachte. »Ich will nur einen kurzen Plausch.« Sie legte mir die Hand aufs Knie. »Das hast du gut gemacht, Ruth, mich hier aufzuspüren. Ich bin beeindruckt – und ich freue mich. Ich dachte, so ist’s am besten – wenn du alles selbst herausfindest. Ich wollte dich nicht bitten, mitzukommen, dich nicht unter Druck setzen. Ich dachte mir, dass du’s rauskriegen würdest, weil du so klug bist. Aber jetzt weiß ich, dass deine Klugheit von anderer Art ist.«
    »Soll ich das als Kompliment verstehen?«
    »Schau mal: Wenn ich dich direkt gefragt hätte, hättest du dir hundert Mittel ausgedacht, mich davon abzubringen.« Ihr Lächeln wirkte fast schadenfroh. »Na, jedenfalls sind wir jetzt beide hier.« Sie strich mir über die Wange – woher diese Anwandlungen von Zärtlichkeit? »Ich bin froh, dass du da bist«, sagte sie. »Ich weiß, ich hätte ihn auch allein treffen können, aber mit dir an meiner Seite wird es viel besser.«
    »Warum?«, fragte ich misstrauisch.
    »Du weißt schon: Moralische Unterstützung und so weiter.«
    »Wo ist das Gewehr?«
    »Ich fürchte, das hab ich so ziemlich versaut. Die Läufe sind nicht sauber abgetrennt. Ich würde mich nicht trauen, es zu benutzen – und überhaupt: Da du jetzt da bist, fühle ich mich sicher.«
    Wir saßen und redeten und verzehrten unsere Sandwiches, während das Abendlicht über dem Walton Crescent intensiver wurde und den cremefarbenen Stuck für Momente in ein blasses Aprikosenrosa verwandelte. Als sich der Himmel allmählich verdunkelte – der Tag war wolkig, aber warm –, spürte ich, wie die Angst in mir hochkroch: Mal in meinem Bauch, dann in der Brust, dann in den Gliedern, die davon schwer wurden und wehtaten – und ich begann zu hoffen, dass Romer nicht zurückkam, dass er in die Ferien gefahren war, nach Portofino oder Saint-Tropez oder Inverness oder wo immer Typen wie er ihre Ferien verbrachten, dass unsere Belagerung sich als fruchtlos erweisen würde, wir nach Hause fahren und versuchen konnten, die ganze Sache zu vergessen. Gleichzeitig war mir genauso klar wie meiner Mutter, dass es mit Romers Ausbleiben nicht getan wäre: Sie musste ihn noch einmal sehen, ein letztes Mal. Und während ich darüber nachdachte, begriff ich, dass alles, was in diesem Sommer passiert war, geplant – manipuliert – war, mit dem Ziel, diese Konfrontation herbeizuführen: ihre Rollstuhl-Allüren, ihr Verfolgungswahn, ihr Lebensbericht …
    Meine Mutter packte mich am Arm.
    Am anderen Ende des Crescent schob ein großer Bentley die Nase um die Ecke. Ich dachte, ich müsste sterben, in meinen Ohren rauschte das Blut, ich schluckte Luft, weil meine Magensäure brodelte und in der Speiseröhre hochkochte.
    »Wenn er aus dem Auto steigt«, sagte meine Mutter trocken, »gehst du hin und rufst seinen Namen. Er wird sich umdrehen – mich sieht er vorerst nicht. Verwickle ihn in ein kurzes Gespräch. Ich will ihn überraschen.«
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Zum Beispiel: ›Guten Abend, Mr Romer, könnte ich Sie kurz sprechen?‹ Mehr als ein paar Sekunden brauche ich nicht.«
    Sie wirkte so ruhig, so stark – während ich dachte, ich müsste jeden Moment in Tränen ausbrechen, einfach drauflosheulen, ich kam mir total unsicher und unfähig vor. Was gar nicht zu mir passte, wie ich merkte.
    Der Bentley hielt in der zweiten Reihe, mit laufendem Motor, der Chauffeur kam heraus und ging um den Wagen herum zum Fond. Er hielt den Wagenschlag auf der Trottoirseite auf, Romer stieg

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