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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Jochen von seinen Igelstudien fort, und wir brauchten zehn Minuten, um seine weit verstreuten Habseligkeiten einzusammeln. Als ich in die Küche kam, sah ich ein kleines Lebensmittelsortiment auf dem Tisch liegen: eine Thermosflasche, eine Plastikdose mit Sandwiches, zwei Äpfel und eine Packung Kekse. Seltsam, dachte ich, während ich Spielzeugautos vom Boden aufhob; man könnte ja glauben, dass sie zum Picknick will. Dann rief Jochen nach mir, weil er seine Pistole nicht fand.
    Endlich hatten wir alles ins Auto geladen und verabschiedeten uns. Jochen küsste seine Granny, doch als ich sie küsste, machte sie sich steif – alles war zu merkwürdig heute, ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Ich musste erst abfahren, bevor ich mich mit diesen Seltsamkeiten befassen konnte.
    »Kommst du nächste Woche in die Stadt?«, fragte ich betont freundlich und dachte mir, wir könnten dann zusammen essen gehen.
    »Nein.«
    »Na, dann.« Ich öffnete den Wagenschlag. »Mach’s gut, Sal. Ich ruf dich an.«
    Da griff sie nach mir und umarmte mich heftig. »Mach’s gut, Liebling«, sagte sie, und ich spürte ihre trockenen Lippen auf der Wange. Das war noch seltsamer, da sie mich höchstens alle drei Jahre mal umarmte.
    Schweigend fuhr ich mit Jochen aus dem Dorf hinaus.
    »War es schön bei Granny?«, fragte ich dann.
    »Ja. Irgendwie schon.«
    »Drück dich genauer aus.«
    »Na ja, sie hatte viel zu tun, immer hat sie irgendwas gemacht. In der Garage gearbeitet.«
    »Was hat sie denn da gemacht?«
    »Ich weiß nicht. Ich durfte nicht rein. Aber ich habe gehört, wie sie gesägt hat.«
    »Gesägt? … Kam sie dir irgendwie verändert vor? Hat sie sich anders verhalten?«
    »Drück dich präziser aus.«
    »Eins zu null für dich. Kam sie dir nervös vor, unruhig, schlecht gelaunt, seltsam?«
    »Seltsam ist sie immer. Das weißt du doch.«
    In der zunehmenden Dämmerung führen wir nach Oxford zurück. Ich sah schwarze Krähenschwärme von den Stoppelfeldern auffliegen, die Hecken verschmolzen mit dem Dunst des Abends, die Baumgruppen und Wäldchen wirkten dicht und undurchdringlich, wie aus Metall gegossen. Meine Kopfschmerzen ließen langsam nach, was ich als Zeichen der allgemeinen Besserung auffasste, und dann fiel mir auch noch ein, dass ich eine Flasche Mateus Rosé im Kühlschrank hatte. Samstagabend zu Hause bleiben, Fernseher an, zwanzig Zigaretten und eine Flasche Mateus Rosé: Konnte das Leben schöner sein?
    Wir aßen Abendbrot (von Ludger und Ilse keine Spur), sahen ein Varieté im Fernsehen – schlechte Sänger, lahme Tänzer, meiner Meinung nach –, und ich brachte Jochen ins Bett. Jetzt konnte ich die Flasche entkorken und gemütlich eine rauchen. Aber stattdessen saß ich zwanzig Minuten nach dem Abwaschen immer noch in der Küche, vor mir eine Tasse schwarzen Kaffee, und dachte über meine Mutter und ihr Leben nach.
    Am Sonntagmorgen fühlte ich mich hundert Prozent besser, aber in Gedanken war ich nach wie vor bei meiner Mutter, ihrem Cottage und ihrem seltsamen Verhalten am Tag davor: die Nervosität, die Paranoia, das vorbereitete Picknick, diese untypische Reizbarkeit … Was war da los? Wohin wollte sie mit ihren Sandwiches und der Thermosflasche? Dass die Sachen schon am Vortag bereitstanden, deutete auf einen frühen Aufbruch. Warum erzählte sie mir nicht davon, wenn sie einen Ausflug plante? Und warum ließ sie die Sachen so offen herumliegen, wenn ich es nicht erfahren sollte?
    Und dann begriff ich.
    Huldvoll akzeptierte Jochen die neue Sonntagsplanung. Im Auto sangen wir Lieder, um uns die Zeit zu vertreiben: »One Man Went to Mow«, »Ten Green Bottles«, »The Quartermaster’s Store«, »The Happy Wanderer«, »Tipperary« – die hatte mir früher mein Vater vorgesungen, sein tiefer, vibrierender Bass hatte das ganze Auto ausgefüllt. Jochen war schrecklich unmusikalisch, genau wie ich, trotzdem sangen wir munter drauflos, in dissonanter Harmonie.
    »Warum fahren wir schon wieder dorthin?«, fragte er zwischen zwei Strophen. »Gleich am nächsten Tag? Das machen wir sonst nie.«
    »Weil ich etwas vergessen habe. Ich wollte Granny etwas fragen.«
    »Das kannst du auch am Telefon.«
    »Nein. Ich muss mit ihr sprechen. Unter vier Augen.«
    »Du willst dich bloß mit ihr streiten«, sagte er.
    »Nein, nein, keine Sorge. Ich muss sie nur etwas fragen.«
    Wie ich befürchtet hatte, war das Auto weg und das Haus verschlossen. Ich holte den Schlüssel unter dem Blumentopf hervor, und wir gingen

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