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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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ironischen Grinsen, als hätte er endlich begriffen, dass er seine Macht verloren hatte, dass ihm alles entglitten war. »Dank den Japanern – Pearl Harbor hat uns ziemlich alles versaut.«
    »Du hättest mich in Ruhe lassen sollen«, sagte meine Mutter. »Wärst du nicht weiter hinter mir her gewesen, hätte ich dich mit alldem nicht behelligt.«
    Er starrte sie verblüfft an. Es war die erste echte Gefühlsregung, die ich an ihm beobachtete. »Wovon zum Teufel redest du?«, sagte er.
    Aber sie hörte nicht zu. Sie öffnete ihre Handtasche und holte das abgesägte Gewehr heraus. Es war sehr klein, kaum länger als fünfundzwanzig Zentimeter, und sah aus wie eine altertümliche Pistole, das Schießeisen eines Straßenräubers. Sie richtete es auf Romers Gesicht.
    »Sally«, sagte ich. »Bitte …«
    »Ich weiß, dass du keine Dummheiten machen wirst«, sagte Romer ziemlich ruhig. »So dumm bist du nicht. Also steck das Ding weg.«
    Sie machte einen Schritt auf ihn zu und streckte den Arm aus, die zwei klobigen Stummel der Läufe zielten direkt auf sein Gesicht, aus sechzig Zentimetern Abstand. Jetzt zuckte er doch ein wenig, wie ich sah.
    »Ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt, wenn du meiner Gnade ausgeliefert bist«, sagte meine Mutter noch immer völlig beherrscht. »Ich könnte dich jetzt ohne weiteres umbringen, ganz leicht, und ich wollte nur wissen, wie sich so ein Moment anfühlt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das über all die Jahre aufrechterhalten hat, mir diesen Moment vorzustellen. Ich habe lange darauf gewartet.« Sie senkte das Gewehr. »Und ich kann dir versichern: Jede Sekunde davon war es wert.« Sie steckte das Gewehr in ihre Tasche und verschloss sie mit einem lauten Klacken, einem Geräusch, bei dem Romer noch einmal zusammenzuckte.
    Er drückte auf eine Klingel an der Wand, und eine Sekunde später, wie es schien, stand der verschreckte Pjotr im Raum.
    »Die Herrschaften wollen gehen«, sagte Romer.
    Wir gingen zur Tür.
    »Lebe wohl, Lucas«, sagte meine Mutter und schritt voran, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Merk dir diesen Abend. Du wirst mich nicht wiedersehen.«
    Ich dagegen schaute mich noch einmal um und sah, dass sich Romer ein wenig zur Seite gedreht hatte, die Hände tief in die Taschen seines Jacketts gebohrt – man sah es an den Falten des Jacketts und an den verdrehten Aufschlägen. Sein Kopf war gesenkt, und er starrte wieder auf den Läufer vor dem Kamin, als stände dort geschrieben, was er zu tun hatte.
     
    Wir stiegen ins Auto und ich blickte hinauf zu den drei hohen Fenstern. Nun war es fast dunkel, die Fenster leuchteten orange gelb, die Vorhänge waren noch nicht zugezogen.
    »Das Gewehr hat mich umgehauen, Sal«, sagte ich.
    »Es war nicht geladen.«
    »Na prima.«
    »Im Moment will ich nicht reden, wenn du erlaubst. Noch nicht.«
    Also fuhren wir aus London heraus, über Shepherd’s Bush zur A40 Richtung Oxford. Und wir schwiegen den ganzen Weg, bis wir nach Stokenchurch kamen und durch die große Brache, die sie für die Autobahn durch die Chilterns geschlagen hatten, die träge Sommernacht von Oxfordshire vor uns ausgebreitet sahen – die Lichter von Lewknor, Sydenham und Great Haseley, die zu funkeln begannen, während die achatene Restglut des Sonnenuntergangs im Westen verlosch, irgendwo hinter Gloucestershire.
    Ich dachte an das, was in diesem Sommer passiert war, und allmählich dämmerte mir, dass es in Wirklichkeit schon vor vielen Jahren angefangen hatte. Ich dachte an die Raffinesse, mit der mich meine Mutter in den letzten Wochen manipuliert und benutzt hatte, und begann mich zu fragen, ob das schon immer mein Schicksal gewesen war, was sie betraf. Ich stellte mir vor, dass sie ein halbes Leben mit dem Gedanken an diese letzte Begegnung mit Romer schwanger gegangen war und sich, als ihr Kind geboren wurde – vielleicht wollte sie lieber einen Jungen? –, gesagt hatte: Jetzt habe ich meinen entscheidenden Verbündeten, jetzt habe ich jemanden, der mir beistehen kann, und eines Tages bringe ich Romer zur Strecke.
    Ich begann zu begreifen, dass meine Rückkehr von Deutschland nach Oxford der Katalysator gewesen war, der alles in Bewegung gesetzt hatte. Nun, da ich in ihr Leben zurückgekehrt war, konnte ich in ihr Werk verwickelt werden. Das Schreiben ihrer Memoiren, der Anschein von Gefahr, der Verfolgungswahn, der Rollstuhl, die anfänglich »harmlosen« Bitten, alles war nur dazu da, ihre Beute mit mir gemeinsam aufzuspüren

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