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Ruhelos

Ruhelos

Titel: Ruhelos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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entgegenhielt.
    Romer schenkte ihr trotzdem ein und schob ihr das Glas hin.
    »Unsinn … Ich bin beeindruckt, aber ich kann nicht allein trinken.« Er prostete ihr zu. »Ich höre, Sie kommen gut zurecht.«
    »Wie geht es meinem Vater?«
    »Ein bisschen besser. Die neuen Tabletten scheinen zu helfen.«
    Ist das wahr oder ist das eine Lüge?, fragte sich Eva. Ihre Ausbildung zeigte allmählich Wirkung. Dann wieder dachte sie: Nein, eine solche Lüge würde mir Romer nicht auftischen, weil ich das herausbekommen könnte. Also beruhigte sie sich ein wenig.
    »Warum durfte ich nicht zum Fallschirmspringen?«
    »Solange Sie für mich arbeiten, brauchen Sie das nicht, das schwöre ich Ihnen … Ihr Akzent ist wirklich gut. Hat sich sehr verbessert.«
    »Und Selbstverteidigung?«
    »Zeitverschwendung.« Er trank und schenkte sich nach. »Stellen Sie sich vor, Sie kämpfen um Ihr Leben: Sie haben Klauen und Zähne – Ihre Instinkte nützen Ihnen mehr als jedes Training.«
    »Muss ich um mein Leben kämpfen, wenn ich für Sie arbeite?«
    »Sehr, sehr unwahrscheinlich.«
    »Was muss ich also für Sie tun, Mr Romer?«
    »Bitte nennen Sie mich Lucas.«
    »Was muss ich also für Sie tun, Lucas?«
    »Was müssen wir tun, Eva. Am Ende Ihrer Ausbildung wird sich das alles zeigen.«
    »Und wann wird das sein?«
    »Wenn ich den Eindruck habe, dass Sie hinreichend ausgebildet sind.«
    Er stellte noch ein paar allgemeine Fragen, manche hatten mit den Verhältnissen in Lyne zu tun – war jemand zu freundlich oder neugierig gewesen, hatte jemand Fragen nach ihrer Anwerbung gestellt, hatte das Personal sie auffällig behandelt und so weiter. Sie lieferte ihm wahrheitsgemäße Antworten, und er hörte zu, nachdenklich, an seinem Whisky nippend, an seiner Zigarette ziehend, fast wie ein Vater, der sich überzeugen will, ob Lyne die passende Schule für sein begabtes Kind ist. Dann drückte er die Zigarette aus, stand auf, ließ die Whiskyflasche in die Jackentasche gleiten und ging zur Tür.
    »War sehr schön, Sie wiederzusehen, Eva«, sagte er. »Machen Sie weiter so.« Und damit verließ er den Raum.
     
    Eva schlief sehr unruhig in ihrem Schlupfloch am Fluss, alle zwanzig Minuten etwa wurde sie wach. Der kleine Wald um sie war voller Geräusche – Rascheln, Knacken, melancholische Eulenschreie –, aber sie hatte keine Angst; sie war nur eines von vielen Nachtwesen, das seine Ruhe wollte. Noch vor Morgengrauen wachte sie auf, weil sie sich erleichtern musste. Sie ging zum Fluss, ließ die Hosen herunter und kackte in das schnell dahinströmende Wasser. Jetzt konnte sie das Toilettenpapier benutzen und anschließend sorgfältig verscharren. Auf dem Rückweg zu ihrem Schlafbaum blieb sie stehen und schaute sich um, durchforschte den mondbeschienenen Wald mit den krummen grauen Baumstämmen, die einen losen Kreis um sie bildeten wie ein halb verfallener, löchriger Palisadenzaun; die Blätter über ihr raschelten trocken im Nachtwind. Sie kam sich vor wie in einer anderen Welt, wie in einem Traumzustand, einsam und verloren in der schottischen Landschaft. Niemand wusste, wo sie war, nicht einmal sie selbst. Aus irgendeinem Grund dachte sie an Kolja, ihren lustigen, launischen, ernsten kleinen Bruder, und für einen Augenblick befiel sie tiefe Traurigkeit. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie all das für ihn tat, und machte eine kleine Trotzgeste, wie um zu zeigen, dass sein Tod nicht umsonst gewesen war. Auch empfand sie eine gewisse widerstrebende Dankbarkeit für Romer, dass er sie dazu gedrängt hatte. Vielleicht, dachte sie, als sie sich wieder in die Mulde legte, hatte Kolja mit Romer über sie gesprochen – vielleicht hatte Kolja ihn auf die Idee gebracht, sie eines Tages anzuwerben.
    Sie würde wohl kaum wieder einschlafen, dazu war sie viel zu munter, aber während sie so dalag, wurde ihr bewusst, dass sie noch nie so allein gewesen war, und sie fragte sich, ob auch das Teil der Übung war – so völlig allein gelassen zu werden, nachts in einem fremden Wald an einem fremden Fluss, und zu sehen, wie sie damit zurechtkam –, denn das hatte ja nichts mit Pfadfinderei und Orientierungskunst zu tun, es war nur eine Methode, jemanden für ein paar Stunden ganz auf sich selbst zurückzuwerfen. Sie lag da, bildete sich ein, dass es schon heller wurde, dass die Morgendämmerung bevorstand, und ihr wurde bewusst, dass sie die ganze Nacht ohne Angst überstanden hatte. Vielleicht, dachte sie, ist das der eigentliche Ertrag

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