Ruhelos
Dagbladet auf und zeigte ihr den Artikel. »In der Times und in Le Monde steht sie auch. Gratuliere. Hochwürden wird zufrieden sein.«
Einige Wörter im schwedischen Text erkannte Eva wieder. Die Story von den zwanzig toten isländischen Matrosen, die in einem entlegenen norwegischen Fjord angespült worden waren, hatte sie auf einer der letzten Sitzungen vorgeschlagen – und die Behauptung daran geknüpft, sie seien mit ihrem Trawler in die schwer verminten Gewässer vor dem Hafen von Narvik geraten. Eva wusste auf Anhieb, dass es die Art von Meldung war, die Romer liebte. Sie hatte schon ein offizielles Dementi des britischen Kriegsministeriums provoziert (norwegische Gewässer waren nicht von britischen Schiffen vermint worden). Doch das Wichtige war, wie Romer gern betonte, dass es sich um unbestätigte Nachrichten handelte – ein Trawler von einer Mine versenkt, wo? – und dass sie dem Feind von Nutzen waren. Alle weiteren Dementis wurden entweder angezweifelt oder kamen zu spät – die Meldung war in Umlauf und verrichtete ihr schmutziges Werk. Deutsche Geheimdienstler, die die internationale Presse auswerteten, würden auf die angebliche Verminung der norwegischen Küstengewässer aufmerksam und Meldung an die Flotte machen. Seekarten würden ausgebreitet, ergänzt, geändert. Alles in allem war es ein prächtiges Beispiel dafür, welchen Zweck Romers Einheit und A.I. Nadal erfüllen sollten. Nachrichten sind nicht neutral, pflegte Romer ständig zu wiederholen. Wenn sie auch nur zur Hälfte geglaubt wurden, führten sie zu allerlei kleinen Veränderungen – zu einer Kettenreaktion mit unabsehbaren Folgen. Eva hatte in den vier Monaten, seit sie in Ostende war, schon einige kleine Erfolge erzielt – Meldungen über angeblich geplante Brückenbauten, über niederländische Flutbarrieren, die angeblich verstärkt werden sollten, über Züge in Nordfrankreich, die wegen angeblicher Manöver umgeleitet wurden –, aber dies war das erste Mal, dass die internationale Presse eine ihrer Erfindungen aufgegriffen hatte. Romers Idee war so einfach wie alle guten Ideen: Falschmeldungen können genauso nützlich, wirkungsvoll, aufschlussreich oder schädlich sein wie wahrheitsgemäße Meldungen. Wenn A.I. Nadal 137 Nachrichtenmedien versorgte, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr – wie sollte man da noch unterscheiden, welche Meldung echt war und welche das Werk eines gerissenen Fälschers?
Eva nahm den Platz ein, den Sylvia mit ihrem fülligen Hinterteil vorgewärmt hatte, und zog einen Stapel russischer und französischer Zeitungen heran. Sie vermutete, dass es irgendeinen hohen Beamten im britischen Geheimdienst gab, der Romers Idee zu schätzen wusste, und dass dies die Erklärung für die auffallende Autonomie war, die Romer offenbar genoss. Bezahlt für die Agence d’Information Nadal hatte vermutlich der britische Steuerzahler (und Pierre-Henri Nadal damit einen recht komfortablen Lebensabend gesichert), und nun finanzierte er deren Ausbau zu einem Instrument der politischen Kriegführung. Romer und seine »Einheit« waren damit befasst, sorgsam ausgeklügelte Falschmeldungen in die Welt zu setzen – unter dem Deckmantel einer ehrbaren belgischen Presseagentur –, und niemand konnte mit Gewissheit sagen, welche Wirkungen sie erzielten. Niemand konnte wissen, ob das deutsche Oberkommando überhaupt Notiz von ihnen nahm, aber die Einheit rechnete es sich stets als Erfolg an, wenn ihre Storys von Zeitungen und Rundfunksendern übernommen (und bezahlt) wurden. Romer schien jedoch darauf zu achten, dass die Storys, die sie hinausschickten, einem gewissen Plan folgten, den nur er kannte. In der Sitzung verlangte er manchmal, dass Gerüchte über den bevorstehenden Rücktritt des einen oder anderen Ministers verbreitet wurden – oder Skandale, die geeignet waren, diese oder jene Regierung in Verlegenheit zu bringen. Mal sagte er unvermittelt: Wir brauchen etwas über die spanische Neutralität; mal benötigte er sofort eine Statistik über die Steigerung der französischen Walzstahlproduktion. Die Falschmeldungen mussten mit der gleichen Gewissenhaftigkeit erzeugt werden wie Wahrheiten, es kam darauf an, dass sie auf Anhieb plausibel klangen – und das Team gab sein Bestes, um diese Aufgabe zu erfüllen. Aber das war alles ein wenig vage und hatte – wenn Eva ehrlich war – etwas von einem Gesellschaftsspiel. Nie erfuhren sie etwas über die Folgen ihrer raffiniert erdachten Lügenmärchen, es war, als
Weitere Kostenlose Bücher