Ruhig Blut!
Säge durch den Nebel.
Agnes blinzelte. Das Mädchen näherte sich ihrem Vater und richtete einen herausfordernden Blick auf ihn.
»Warum fängst du immer an?« fragte sie.
»Lacrimosa! Was ist nur in dich gefahren? Ich bin das Oberhaupt des Clans!«
»Ach, tatsächlich? Für immer?«
Der Graf wirkte überrascht. »Nun, ja. Natürlich.«
»Also müssen wir uns für immer von dir herumkommandieren lassen?
Wir bleiben für immer Kinder?«
»Meine Liebe, was glaubst du eigentlich…«
»Und sprich nicht in dem Tonfall mit mir! Der funktioniert nur bei Fleisch. Werde ich für immer auf mein Zimmer geschickt, weil ich ungehorsam gewesen bin?«
»Du hast eine eigene Folterbank von uns bekommen…«
»Oh, ja. Und dafür muß ich hübsch lächeln und zu Fleisch freundlich sein?«
»Wie kannst du es wagen, in diesem Ton mit deinem Vater zu reden!« kreischte die Gräfin.
»Und sprich nicht so über Agnes!« knurrte Vlad.
»Habe ich ihren Namen genannt?« entgegnete Lacrimosa kühl. »Habe ich irgendwie Bezug auf sie genommen? Ich erinnere mich nicht daran. Es käme mir nie in den Sinn, sie auch nur zu erwähnen .«
»Ich will nicht, daß wir uns streiten!« rief der Graf.
» Das ist es, nicht wahr?« erwiderte Lacrimosa. »Wir streiten nie. Wir tun einfach, was du sagst, und zwar für immer .«
»Wir haben vereinbart…«
»Nein, du hast etwas beschlossen, und niemand hat dir widersprochen. Vlad hatte recht!«
»Tatsächlich?« fragte der Graf und wandte sich an seinen Sohn. »Und in welcher Beziehung, wenn ich fragen darf?«
Vlads Mund öffnete und schloß sich mehrmals, als er versuchte, einen vernünftigen Satz zusammenzubringen. »Vielleicht habe ich einmal die Meinung zum Ausdruck gebracht, daß die ganze Lancre-Angelegenheit unklug sein könnte…«
»Oh«, sagte die Gräfin. »Bist du plötzlich so weise geworden, obwohl du noch nicht einmal zweihundert Jahre alt bist?«
»Unklug?« wiederholte der Graf.
»Ich halte die ganze Sache für dumm !« zischte Lacrimosa. »Kleine Abzeichen? Geschenke? Wir geben nichts! Wir sind Vampire ! Wir nehmen, was wir wollen, zum Beispiel so …«
Sie packte einen in der Nähe stehenden Mann, öffnete den Mund und hatte es ganz offensichtlich auf seinen Hals abgesehen. Ihr Haar wehte…
Und dann erstarrte Lacrimosa plötzlich.
Sie erzitterte, tastete mit der einen Hand nach ihrer Kehle und warf dem Grafen einen wütenden Blick zu.
»Was… hast du angestellt?« brachte sie hervor. »Mein Hals fühlt sich… wund an. Was hast du gemacht?«
Der Graf rieb sich die Stirn und zwickte seinen Nasenrücken. »Lacci…«
»Und nenn mich nicht so! Du weißt, wie sehr ich es verabscheue!«
Einer der anderen Vampire hinter ihnen schrie. An seinen Namen erinnerte sich Agnes nicht – er lautete vermutlich Fenrir oder Maledicta oder so ähnlich –, aber sie wußte, daß er sich Gerald nennen ließ. Er sank auf die Knie und griff mit beiden Händen nach seiner Kehle. Den übrigen Vampiren schien es ebenfalls nicht sehr gut zu gehen. Zwei weitere knieten nieder und stöhnten, zum großen Erstaunen der versammelten Bürger.
»Ich fühle mich… nicht wohl«, sagte die Gräfin und schwankte ein wenig. »Ich schätze, das mit dem Wein war keine besonders gute Idee…«
Der Graf drehte sich um und sah Agnes an. Sie wich einen Schritt zurück.
»Du steckst dahinter, nicht wahr?« fragte er.
»Ja, natürlich!« stöhnte Lacrimosa. »Die alte Hexe hat ihr Selbst woanders untergebracht, und bestimmt wußte sie, daß Vlad eine Schwäche für Trampel hat!«
Oma ist doch nicht hier drin, oder? fragte Perdita. Weißt du das nicht? dachte Agnes und trat noch einen Schritt zurück. Nun, ich glaube nicht, daß sie uns hier Gesellschaft leistet, aber sind dies wirklich meine eigenen Gedanken? Jetzt hör mal, sie hat sich in dem Priester versteckt, das wissen wir doch. Nein, wir wissen es nicht, du hast das nur für eine gute Idee gehalten, weil alle glauben würden, sie hätte sich für das Baby entschieden.
»Warum kriechst du nicht in deinen Sarg zurück und verrottest darin, du ekelhafter Wurm«, sagte Agnes. Es war keine besonders gute Beleidigung, doch Improvisationen führen nur selten zu exzellenten Ergebnissen.
Lacrimosa sprang auf sie zu, aber da war auch noch etwas anderes, das nicht stimmte. Die Vampirin glitt nicht etwa wie der samtene Tod durch die Luft. Sie wirkte eher wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel. Zorn ließ sie vor Agnes aufragen, und lange Fingernägel zielten wie
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