Ruhig Blut!
Der Apparat dominierte den ganzen großen Raum. Sofort erwachte die Musikliebhaberin in Nanny, und sie ging weiter, um sich das Instrument aus der Nähe anzusehen. Es war schwarz, und komplexe Ebenholzverzierungen schmückten die langen Pfeifen. Register und Tasten bestanden aus totem Elefant.
»Wie funktioniert das Ding?« fragte Nanny.
»Mit Wafferkraft«, sagte Igor stolz. »Ef gibt hier einen unterirdischen Fluff. Der alte Herr lief fich diefe Orgel genau nach feinen Vorgaben anfertigen…«
Nannys Finger berührten eine Messingplatte über der Klaviatur.
Die Aufschrift lautete: »LAUSCHET DEN KHINDERN DER NAHCHT – WIE WHUNDERVOLL IHRE MUSIK ISSET. Gbt. von Bergholt Stattlich Johnson, Ankh-Morpork.«
»Eine Johnson«, hauchte sie. »Schon seit Jahren hatte ich keine Gelegenheit mehr, eine Johnson auszuprobieren…« Sie sah genauer hin. »Was ist das? ›Schrei 1‹? ›Donnerschlag 14‹? ›Wolfsheulen 5‹? Und eine ganze Registergruppe ist mit ›Knarrende Böden‹ beschriftet! Kann man mit diesem Ding denn überhaupt keine Musik machen?«
»Oh, natürlich. Aber der alte Herr intereffierte fich mehr für… akuftische Fpezialeffekte.«
Auf dem Ständer lag ein Notenblatt, das jemand sorgfältig beschriftet hatte. Viele Stellen waren durchgestrichen.
»›Rückkehr der Braut der Rache des Sohnes von Graf Elstyr‹«, las Nanny. Später war »nach 20000 Meilen (?)« hinzugefügt und dann wieder durchgestrichen worden. »›Sonate für Gewitter, Falltüren und junge Frauen in knappen Gewändern.‹ Dein alter Herr scheint auch ein Künstler gewesen zu sein.«
»Auf eine fehr… befondere Art und Weife«, erwiderte Igor voller Nostalgie.
Nanny trat zurück.
»Magrat ist doch sicher, oder?« fragte sie und griff wieder nach den Pflöcken.
»Die Tür bietet Schutf vor wütenden Mengen«, sagte Igor. »Und Fetfen ift zu neun Dreiundachtzigftel Rottweiler.«
»Welche Teile, wenn ich fragen darf?«
»Fwei Beine, ein Ohr, jede Menge Fehnen und der Unterkiefer«, sagte Igor, als sie weitereilten.
»Ja, aber er hat das Gehirn eines Spaniels«, gab Nanny zu bedenken.
»Ef fteckt ihm in den Knochen«, meinte Igor. »Er hält die Leute mit dem Maul feft, und dann schlägt er fie mit feinen beiden Schwänzen bewuftlof.«
»Er wedelt Leute mit dem Schwanz zu Tode?«
»Manchmal geifert er fo fehr, daf fie ertrinken«, sagte Igor.
Die Dächer von Eskrau schälten sich aus der Dunkelheit, als die Vampire tiefer sanken. Kurz darauf berührten Agnes’ Füße den Boden, und sie bemerkte Licht hinter einigen Fenstern.
Vlad landete neben ihr.
»Bei diesem Wetter sieht man den Ort natürlich nicht von seiner besten Seite«, sagte er. »Es gibt hier einige Beispiele für gute Architektur, und das Rathaus ist sehr schön. Vater hat die Uhr bezahlt.«
»Wie nett von ihm.«
»Und natürlich auch den Glockenturm. Bei seinem Bau kamen hiesige
Arbeitskräfte zum Einsatz.«
»Vampire haben viel Geld, nicht wahr?« fragte Agnes.
Der Ort schien recht groß zu sein, und er ähnelte den kleinen Städten
in der Ebene, abgesehen von den Verzierungen an den Dachvorsprüngen.
»Nun, die Familie hatte immer große Ländereien«, antwortete Vlad und überhörte den Sarkasmus. »Im Lauf der Jahrhunderte sammelt sich das Geld an, und natürlich gehen wir nicht oft aus.«
»Außerdem halten sich die Kosten für Nahrungsmittel in Grenzen«, fügte Agnes hinzu.
»Ja, ja, das stimmt…«
Irgendwo über ihnen läutete eine Glocke.
»Jetzt wirst du gleich sehen und verstehen«, sagte Vlad.
Oma Wetterwachs öffnete die Augen. Flammen züngelten direkt vor ihr. »Oh«, sagte sie. »Na gut…«
»Geht es dir besser?« fragte Himmelwärts. Sie drehte den Kopf. Und
dann sah sie auf ihr dampfendes Kleid.
Hilbert Himmelwärts duckte sich unter den Zweigen von zwei Tannen hinweg und warf noch mehr Holz ins Feuer. Es zischte und prasselte.
»Wie lange habe ich… ausgeruht?« fragte Oma.
»Etwa eine halbe Stunde, schätze ich.«
Rotes Licht und schwarze Schatten tanzten zwischen den Bäumen. Der
Regen hatte sich inzwischen in Schneeregen verwandelt, und über dem Feuer wurde Dampf daraus.
»Man muß sehr geschickt sein, um bei diesem Wetter ein Feuer zu entzünden«, sagte Oma.
»Ich danke Om dafür«, erwiderte Himmelwärts.
»Sehr freundlich von ihm, zweifellos. Aber wir müssen jetzt… wieder los.« Oma versuchte aufzustehen. »Es ist nicht mehr weit. Und es geht nur noch bergab…«
»Der Maulesel ist weggelaufen«, sagte
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