Ruhig Blut!
die gewöhnliche Leute über Vampire wissen«, sagte er. »Dazu gehört, daß Geschöpfe wie wir erhebliche Macht über das Bewußtsein niederer Wesen haben. Vergeßt alles über Vampire, verehrte Damen. Das ist ein Befehl. Und nun lernt meine Familie kennen.«
Agnes blinzelte. Sie spürte, daß irgend etwas… passiert war. Doch die Erinnerung daran zerfaserte zwischen mentalen Fingern, die sie festhalten wollten.
»Scheint ein netter junger Mann zu sein«, sagte Nanny. Sie klang ein wenig erstaunt.
»Ich… er… ja«, erwiderte Agnes.
Etwas stieg in ihrem Geist an die Oberfläche, wie eine Flaschenpost, die in einer anderen Sprache geschrieben war. Sie versuchte vergeblich, die Botschaft zu lesen.
»Wenn doch nur Oma hier wäre«, sagte sie schließlich. »Sie wüßte bestimmt, was es zu tun gilt.«
»Warum sollte sie denn irgend etwas tun ?« fragte Nanny.
»Dies ist ein Fest. Und auf Festen hat sich Oma noch nie sehr wohl gefühlt.«
»Ich komme mir ein wenig… seltsam vor«, sagte Agnes.
»Das könnte an den Getränken liegen«, meinte Nanny.
»Ich habe überhaupt nichts getrunken!«
»Na bitte, das ist der Grund. Komm.«
Sie eilten durch den Großen Saal. Zwar war es schon ein ganzes Stück
nach Mitternacht, aber der Lärmpegel näherte sich allmählich der Schmerzschwelle. Wenn die mitternächtliche Stunde wie eine große Cocktailzwiebel auf dem Glas liegt, klingt das Lachen immer ein wenig schrill.
Vlad winkte und forderte die beiden Hexen auf, sich der Gruppe bei König Verence hinzuzugesellen.
»Ah, Agnes und Nanny«, sagte der König. »Graf, wenn ich vorstellen darf…«
»Gytha Ogg und Agnes Nitt, wenn ich mich nicht irre«, sagte der Mann, mit dem Verence gerade gesprochen hatte. Er verneigte sich. Aus irgendeinem Grund rechnete ein kleiner Teil von Agnes damit, einen finster wirkenden Mann mit interessantem spitzen Haaransatz und einem Opernmantel zu sehen. Sie wußte nicht, warum sich ihr ein solches Bild aufdrängte.
Der Mann sah aus wie… wie ein feiner Herr, finanziell unabhängig und vielleicht auch wissenschaftlich interessiert. Ein solcher Mann unternahm morgens lange Spaziergänge und verbrachte den Nachmittag in der eigenen großen Bibliothek, um seinen geistigen Horizont zu erweitern oder kleine Experimente mit Pastinaken durchzuführen. Und nie, nie machte sich ein solcher Mann Sorgen um Geld. Etwas Glänzendes umgab ihn und auch ein drängender, begieriger Enthusiasmus. Es handelte sich um jene Art von Unruhe, die man bei Leuten beobachten konnte, die gerade ein wirklich interessantes Buch gelesen hatten und es gar nicht abwarten konnten, jemandem davon zu erzählen.
»Erlaubt mir, euch die Gräfin de Elstyr vorzustellen«, sagte er. »Dies sind die Hexen, von denen ich dir erzählt habe, meine Liebe. Ich glaube, meinen Sohn habt ihr bereits kennengelernt. Und dies ist meine Tochter Lacrimosa.«
Agnes begegnete dem Blick eines dünnen Mädchens, das ein weißes Kleid trug, langes schwarzes Haar hatte und viel zuviel Make-up benutzte. Es gibt so etwas wie Abscheu auf den ersten Blick.
»Der Graf hat mir gerade erzählt, wie er ins Schloß ziehen und das Land regieren will«, sagte Verence. »Und ich habe geantwortet, daß es uns eine Ehre sein wird.«
»Ausgezeichnet«, kommentierte Nanny. »Aber wenn du nichts dagegen hast: Ich möchte auf keinen Fall die Vorstellung des Wiesel-Mannes verpassen…«
»Das Problem ist, daß die Leute immer nur an die Ernährung der Vampire denken, wenn von ihnen die Rede ist«, sagte der Graf, als Nanny forteilte. »Eine ärgerliche Angelegenheit. Ihr eßt Tierfleisch und Gemüse, und das definiert doch nicht eure Existenz, oder?«
Verences Lippen formten ein Lächeln, doch es wirkte gläsern, irgendwie unwirklich.
»Aber ihr trinkt menschliches Blut?« fragte er.
»Natürlich. Und manchmal bringen wir Leute um, obwohl das heutzutage nur noch selten vorkommt. Wie dem auch sei: Was kann es schaden? Opfer und Jäger, Jäger und Opfer. Das Schaf ist als Mahlzeit für den Wolf bestimmt, und der Wolf soll dafür sorgen, daß die Schafe nicht zu viele Wiesen kahlfressen. Wenn du deine Zähne untersuchst, Herr, so wirst du feststellen, daß sie für das Zerkleinern einer ganz bestimmten Nahrung vorgesehen sind, und der Rest des Körpers ist ebenfalls darauf abgestimmt. Bei uns verhält es sich genauso. Ich bin sicher, daß Nüsse und Kohl sich bei euch auch nicht beschweren. Jäger und Beute sind Teil des großen
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