Ruhig Blut!
nicht mehr richtig heilig«, erwiderte der Graf. »Ich hab’s immer stark verdünnt. Es blieb höchstens ein wenig fromm. Aber es hat euch stark werden lassen.«
»Ich weiß nun, daß ich mich damals oft erkältet habe.«
Die Hand des Grafen zuckte aus der Tasche.
Lacrimosa seufzte müde. »Das Allessehende Gesicht der Ionianer«,
sagte sie.
Der Graf tanzte fast.
»Siehst du? Es hat geklappt! Du hattest keine Angst! Und dies gilt als ein sehr starkes religiöses Symbol. Ist es nicht die Mühe wert?«
»Und was bekommen wir für die mit Knoblauch gestopften Kissen, auf denen wir schlafen mußten?« fragte Lacrimosa.
Ihr Vater ergriff sie an den Schultern und drehte sie zum Fenster.
»Genügt es dir zu wissen, daß die Welt deine Auster sein wird?« Das Mädchen runzelte verwirrt die Stirn. »Warum sollte sie irgendein kleines Geschöpf aus dem Meer für mich sein?«
»Austern werden lebend verspeist«, erklärte der Graf. »Leider bezweifle ich, daß wir irgendwo eine fünfhundert Meilen lange Zitronenscheibe finden können, aber das sollte als Metapher genügen.«
Lacrimosas Miene erhellte sich widerwillig. »Oh, wenn das so ist…«
»Gut«, sagte der Graf. »Es freut mich, mein kleines Mädchen lächeln zu sehen. Und nun… was genehmigen wir uns zum Frühstück?«
»Das Baby.«
»Nein, besser nicht.« Der Graf zog an dem Klingelzug neben dem Kamin. »Das wäre undiplomatisch. Noch ist es nicht soweit.« »Nun, das armselige Exemplar von einer Königin scheint anämisch zu sein«, sagte Lacrimosa. »Vlad hätte seine Dicke hierbehalten sollen.« »Fang bloß nicht damit an«, warnte Vlad seine Schwester. »Agnes ist… sehr interessant. Ich glaube, es steckt viel in ihr.«
»Auf jeden Fall ist eine Menge an ihr«, meinte Lacrimosa. »Sparst du sie für später auf?«
»Na, na«, sagte der Graf. »Eure liebe Mutter war kein Vampir, als ich sie kennenlernte…«
»Ja, ja, das hast du uns mindestens eine Million Mal erzählt.« Lacrimosa rollte mit den Augen und offenbarte die Ungeduld eines Mädchens, das seit achtzig Jahren Teenager ist. »Der Balkon, das Nachthemd, du in deinem dunklen Umhang, sie schrie…«
»Damals waren die Dinge viel einfacher«, sagte der Graf. »Und auch sehr viel dümmer.« Er seufzte. »Wo steckt Igor?«
»Ähem«, ließ sich die Gräfin vernehmen. »Ich wollte mit dir über ihn reden, mein Lieber. Ich glaube, er sollte verschwinden.«
»Ja, das finde ich auch!« pflichtete Lacrimosa ihrer Mutter bei. »Selbst meine Freunde lachen über ihn!«
»Ich finde seine Ich-bin-noch-viel-schrecklicher-alf-ihr-Einstellung sehr störend«, fuhr die Gräfin fort. »Seine dumme Ausdrucksweise… Und wißt ihr, wobei ich ihn letzte Woche im alten Verlies überrascht habe?«
»Ich bin sicher, daß ich von allein nie darauf käme«, sagte der Graf. »Er hatte eine Schachtel mit Spinnen und eine Peitsche! Und er zwang die Biester, überall Netze zu spinnen.«
»Ich muß zugeben, daß mich ihre große Anzahl immer erstaunt hat«, erwiderte der Graf.
»Ich bin der gleichen Ansicht, Vater«, sagte Vlad. »In Überwald gibt es kaum etwas gegen ihn einzuwenden, aber wir sollten vermeiden, daß er in einer höflichen Gesellschaft die Tür öffnet.«
»Und er riecht«, fügte die Gräfin hinzu. »Nun, Teile von ihm sind schon seit Jahrhunderten in der Familie«, sagte der Graf. »Aber ich muß zugeben, daß es allmählich zu weit geht.« Er zog den Klingelzug noch einmal.
»Ja, Herr?« erklang Igors Stimme hinter ihm.
Der Graf wirbelte um die eigene Achse. »Ich habe dich ausdrücklich aufgefordert, das zu unterlassen!«
»Waf foll ich unterlaffen, Herr?«
»Einfach so hinter mir zu erscheinen!«
»Eine andere Art def Erscheinenf ift mir nicht vertraut, Herr.« »Geh und hol König Verence. Er soll uns bei einer leichten Mahlzeit
Gesellschaft leisten.«
»Sehr wohl, Herr!«
Sie beobachteten, wie der Diener davonschlurfte. Der Graf schüttelte den Kopf.
»Er zieht sich bestimmt nicht freiwillig in den Ruhestand zurück«, sagte Vlad. »Und in diesem Zusammenhang wird er bestimmt keinen kleinen Wink verstehen.«
»Es ist so altmodisch, einen Diener namens Igor zu haben«, meinte die Gräfin. »Wir sollten uns wirklich von ihm trennen.«
»Nichts leichter als das«, behauptete Lacrimosa. »Wir bringen ihn in den Keller, stecken ihn in die Eiserne Jungfrau, ziehen ihn ein oder zwei Tage lang auf dem Spannbrett lang, am besten über einem Feuer, und schneiden ihn dann in dünne Scheiben, und
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