Ruhig Blut!
ihm dabei tief in die Augen. »Ich
würde die Mäntel für sie halten.«
»Ein durchaus verständliches Empfinden, aber so etwas wird nicht ge-
schehen«, erklang Omas Stimme hinter ihr. »Bring sie fort, Graf. Erklär
ihnen, was es mit der Tradition auf sich hat. Lehre sie Dummheit.«
Der Graf nickte und lächelte, wobei er seine Zähne ganz entblößte.
»Selbstverständlich. Ich werde ihnen beibringen, daß man zurückkeh-
ren muß, um zu leben…«
»Ha! Du lebst nicht, Graf. Der Phönix lebt. Du verstehst es einfach nur nicht, tot zu sein. Verschwindet jetzt!«
Der folgende Augenblick wirkte wie aus der Zeit geschnitten, und
dann stiegen drei Elstern dort auf, wo eben noch die Vampire gestanden
hatten. Sie kreischten und schnatterten, verschwanden dann in der Dun-
kelheit des Daches.
»Es gibt Hunderte von ihnen!« wandte sich Agnes an Nanny.
»Nun, Vampire können sich in Dinge verwandeln«, erwiderte Nanny.
»Das wissen alle, die sich mit Vampiren auskennen.«
»Und was bedeuten dreihundert Elstern?«
»Sie bedeuten, daß es Zeit wird, die Möbel abzudecken«, sagte Nanny.
»Außerdem wird es Zeit für einen ordentlichen Drink.«
Die Leute gingen auseinander. Sie wußten, daß die große Vorstel ung
beendet war.
»Warum hat sie uns nicht erlaubt, die Existenz der Vampire auszulö-
schen?« zischte Piotr an Agnes’ Ohr. »Der Tod ist viel zu gut für sie!«
»Ja«, bestätigte Agnes. »Ich schätze, deshalb wollte sie nicht, daß sie ge-
tötet werden.«
Himmelwärts hatte sich noch nicht von der Stel e gerührt. Er blickte
starr geradeaus, und seine Hände zitterten. Agnes führte ihn behutsam
zu einer Sitzbank und sorgte dafür, daß er Platz nahm.
»Ich habe ihn umgebracht, nicht wahr?« flüsterte er.
»Bei Vampiren läßt sich das nur schwer sagen«, erwiderte Agnes.
»Es gab nichts anderes zu tun! Alles wurde so einfach… Ein goldener
Glanz erfül te plötzlich die Luft, und dann kam der Augenblick, der e-
nergisches Handeln erforderte…«
»Ich glaube, es beschwert sich niemand«, sagte Agnes. Du mußt zugeben,
daß er recht attraktiv ist, flüsterte Perdita. Wenn er doch nur etwas gegen das Furunkel unternehmen würde…
Magrat nahm auf der anderen Seite von Himmelwärts Platz und hielt
das Baby in ihren Armen. Sie atmete einige Male tief durch.
»Das war sehr tapfer von dir«, sagte sie.
»Nein, das war es nicht«, erwiderte Himmelwärts heiser. »Ich dachte,
Frau Wetterwachs würde etwas tun…«
»Oh, sie hat etwas getan«, sagte Magrat und schauderte. »Und ob sie
das hat.«
Oma Wetterwachs setzte sich auf das andere Ende der Bank und
zwickte ihren Nasenrücken.
»Ich möchte nach Hause«, meinte sie. »Ich möchte nach Hause und ei-
ne Woche lang schlafen.« Sie gähnte. »Was gäbe ich jetzt für eine Tasse
Tee.«
»Du hast dir doch eine gekocht!« entfuhr es Agnes. »Wir waren ganz
verrückt danach!«
»Wo sol te ich hier Tee herbekommen? Es war nur eine Mischung aus
Schlamm und Wasser. Aber ich weiß, daß Nanny einen Beutel irgendwo
bei sich trägt.« Sie gähnte erneut. »Koch Tee, Magrat.«
Agnes öffnete den Mund, doch Magrat winkte ab und reichte ihr das
Baby.
»Sofort, Oma«, sagte sie und drückte Agnes mit sanftem Nachdruck
auf die Sitzbank zurück. »Ich stel e nur schnel fest, wo Igor den Kessel
aufbewahrt.«
Hilbert Himmelwärts trat auf den Wehrgang an den Zinnen. Die Sonne
stand bereits ein ganzes Stück hinter dem Horizont, und eine leichte
Brise wehte über die Wälder von Überwald. Einige Elstern schnatterten
in den Bäumen unweit des Schlosses.
Oma hatte die Ellenbogen auf eine Zinne gestützt und blickte über den
sich lichtenden Nebel.
»Es sieht nach einem schönen Tag aus«, sagte Himmelwärts glücklich.
Zu seinem großen Erstaunen fühlte er sich einfach prächtig. Eine gewis-
se Schärfe lag in der Luft, und die Zukunft steckte voller Möglichkeiten.
Er erinnerte sich an den Moment, als er die Axt geschwungen hatte, als
sie beide sie geschwungen hatten. Viel eicht gab es einen Weg…
»Später wird ein Unwetter von der Mitte heranziehen«, sagte Oma.
»Nun, die Feldfrüchte können vermutlich Regen vertragen«, erwiderte
Himmelwärts.
Etwas schimmerte kurz über ihnen. Im hel en Tageslicht waren die
Flügel des Phönix kaum zu sehen, zeigten sich nur als vages gelbes Glü-
hen in der Luft. Als der Vogel hoch über dem Schloß kreiste, zeichnete
sich in ihm die winzige Gestalt des Falken
Weitere Kostenlose Bücher