Ruhig Blut!
worden, und Schlamm bildete dicke Krusten auf seinem Man-
tel. Das Leder der Schuhe hatte lange Risse, und die Schnal en waren in
den Moorpfützen angelaufen. Aber es mußte doch noch irgendwo ein
sauberes Hemd zu finden sein…
Jemand versuchte, an die nasse Zeltplane zu klopfen. Nach einer Pause
von einer halben Sekunde kam die betreffende Person ins Zelt.
»Darf ich eintreten?« fragte Nanny Ogg und musterte den Priester von
Kopf bis Fuß. »Da draußen warten al e auf dich. Verlorene Schafe, die
geschoren werden möchten, könnte man sagen«, fügte sie hinzu. Gewis-
se Signale deuteten darauf hin, daß ihr derzeitiges Verhalten auf einem
Kompromiß mit sich selbst basierte.
Himmelwärts drehte sich um.
»Frau Ogg, ich weiß, daß du mich nicht sehr magst…«
»Ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt mögen sol te«, sagte Nanny.
»Immerhin bist du Esme gefolgt, und sie mußte dir beim Weg über die
Berge helfen.«
Die Antwort kreischte in Himmelwärts’ Hals, bevor er das wissende
Funkeln in Nannys Augen sah. Es gelang ihm, die scharfen Worte in ein
Hüsteln zu verwandeln.
»Äh… ja«, sagte er. »Ja. Dumm von mir, nicht wahr? Äh… wie viele
Personen haben sich dort draußen eingefunden, Frau Ogg?«
»Oh, hundert, viel eicht auch hundertfünfzig.«
Hebel, dachte Himmelwärts und dachte kurz an die Bilder in Nannys
Wohnzimmer. Sie kontrolliert die Hebel vieler Leute. Aber ich wette,
vorher hat jemand ihren Hebel umgelegt.
»Und was erwarten sie von mir?«
»Auf dem Plakat steht ›Abendgottesdienst‹«, sagte Nanny schlicht. »›A-
bendbier‹ wäre besser.«
Er ging nach draußen und sah im Licht des späten Nachmittags die
Gesichter eines großen Teils der Bevölkerung von Lancre. König und
Königin saßen in der vordersten Reihe. Verence nickte würdevol und
vermittelte dem Priester die Botschaft: Was auch immer er beabsichtigte
– er konnte jetzt damit beginnen.
Nanny Oggs Körpersprache ließ keinen Zweifel daran, daß irgendwel-
che speziel en omnianischen Gebete nicht toleriert wurden. Himmel-
wärts begnügte sich mit einem allgemeinen Dankesgebet, das er an die
Adresse al er Götter richtete, die zufäl igerweise zuhörten – oder auch
nicht.
Dann holte er das Harmonium hervor und spielte einige Akkorde, was
Nanny schon nach kurzer Zeit zum Anlaß nahm, ihn beiseite zu stoßen.
Sie rol te die Ärmel hoch und entlockte dem Musikinstrument Töne, von
denen Himmelwärts überhaupt nicht gewußt hatte, daß sie irgendwo
darin verborgen waren.
Die Besucher sangen nicht sonderlich begeistert – bis Himmelwärts
das gräßliche Gesangbuch beiseite legte und einige der Lieder anstimmte,
die er von seiner Großmutter gelernt hatte. Es waren Lieder vol er Feuer,
Donner, Tod und Gerechtigkeit, Lieder, deren Melodien man summen
konnte und deren Titel »Om sol die Ungläubigen zerstampfen«, »Heb
mich zum Himmel empor« und »Entzünde das gute Licht« lauteten. Diese
Lieder fanden weitaus mehr Anklang. Die Bewohner von Lancre scher-
ten sich kaum um Religion, aber sie wußten, wie sie sich anhören sol te.
Während er vorsang und mit einem Stock auf Worte zeigte, die er auf
die Zeltplane gekritzelt hatte, beobachtete er seine… Nun, er beschloß,
die Versammlung seine »Gemeinde« zu nennen. Es war seine erste. Viele
Frauen und frisch gewaschene Männer gehörten dazu, aber ein Gesicht
dominierte durch Abwesenheit.
Mitten im Lied hob er den Blick und bemerkte weit oben einen Adler:
einen kleinen Fleck, der am Himmel Kreise zog und vielleicht nach ver-
lorenen Schafen Ausschau hielt.
Und dann endete der Gottesdienst, und die Besucher gingen stumm.
Sie wirkten dabei wie Leute, die eine Aufgabe hinter sich gebracht hat-
ten, die nicht unbedingt unangenehm gewesen war. Der Kol ektentel er
enthielt zwei Ankh-Morpork-Cents, mehrere Karotten, eine große Zwie-
bel, einen kleinen Laib Brot, ein Pfund Hammelfleisch, einen kleinen
Krug mit Milch und eine eingelegte Schweinshaxe.
»Wir haben nicht unbedingt eine Bargeldökonomie«, erklärte König
Verence und trat vor. Ein dicker Verband umhül te seine Stirn.
»Oh, das ergibt eine gute Mahlzeit«, erwiderte Himmelwärts in dem
übertrieben fröhlichen Tonfal , den viele Leute dem königlichen Ge-
schlecht gegenüber benutzen.
»Du wirst doch mit uns speisen, oder?« fragte Magrat.
»Ich… äh… wol te beim ersten Licht des Tages aufbrechen, Herr.
Deshalb sol te ich den Abend besser
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