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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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Herren Damenbesuchsverbot gilt. Nach dem Tod von Frau Clausius wird die Pension in Wohnungen umgewandelt.
    Das kleine Lebensmittelgeschäft hält sich bis Anfang der Achtziger. Die Bewohner lassen ihre Einkäufe vom Lehrjungen hochbringen. Er kriegt sein Trinkgeld, und man lässt in einem dicken Buch anschreiben. Später wird im Laden bezahlt. Jedes Kind bekommt einen Keks in einer riesigen Tüte. Die Eigentümerin Christa Liedtke hatte in den siebziger Jahren übrigens einige Scherereien. Marta Schreiner, Inhaberin des Tabakladens im selben Gebäude, beklagte sich, dass der Lebensmittelladen den Vorgartenplatz als Verkaufsfläche benutzte. Christa Liedtke verteidigte sich: «Seit mehr als 25  Jahren, solange es das Geschäft gibt, hat jeder Inhaber die Ware vor dem Laden ausgestellt. Jedes Obst-und-Gemüse-Geschäft in Berlin, wie Sie wissen, macht es so, weil die frische Ware für den Kunden ersichtlich wird und so schnell verkauft ist vor dem Schlechtwerden.»
    Frau Kubeths Annahmestelle für Wäsche zum Mangeln, von der mir John Ron in Berkeley erzählte, scheint seit ewigen Zeiten zu bestehen. Am Tag, als der Baron von Barkow sich in den Kopf setzte, seine Hemden selbst zu bügeln, ging er zu Frau Kubeth hinunter, stellte sich hinter den Bügeltisch und sah genau zu, wie sie es machte. Die Hausfrauen der Straße zeigten ihm einen Vogel.
    Frau Soller beschreibt den schwindelerregenden Wechselreigen der Geschäfte, die in unserer Straße entstehen und vergehen: Der Zeitungs- und Zigarettenladen wird durch die Installateurwerkstatt Dittmann, später ein Bordell, ersetzt. Die Drogerie weicht einem Mischwarengeschäft. Der Schuster wird von Tapeten Schulz vertrieben, dieser durch ein Dentallabor, das inzwischen zum Steuerbüro mutiert ist. Der Kolonialwarenladen wird erst zum Edeka Supermarkt, dann zum Laden für Autoersatzteile, jetzt ist dort ein Restaurant. Im Hinterraum der Druckerei Beyer neben dem U-Bahn-Ausgang, wo sich heute das Geschäft für Wintersport befindet, ordnete einst ein Setzer die Bleibuchstaben und druckte die Kirchenzeitungen. Frau Beyer war Artistin, genauer Fängerin am Trapez. Dieses ungewöhnliche Paar hat im ersten Stock über der Druckerei gelebt. Daneben gab es den Kirchenbuchladen Schmoller, einen kleinen Milchladen und die «Mansarde», ein Freaklokal, das die Kripo irgendwann schloss, weil zu viel gekifft wurde. Onkel Willi, ein Schachspieler vor dem Herrn, lockte seine Spielpartner in eine Ecke seines Lokals. Er gewann immer. Die Mansarde beherbergt heute den Schülerladen. Der Copyshop hat das Farbenhaus Neugebauer, Handel für Farbe und Tapeten, vor die Tür gesetzt. Auch der berühmte Schraubenschmidt, Paradies für Heimwerker, ist eingegangen. Die Frau des Taxifahrers aus der Nummer  17 war jahrelang Chefsekretärin bei Schraubenschmidt. Und schließlich übergab vor wenigen Jahren erst das Antiquariat seine Räume einem Küchen-Vertreter in der Nummer  12 . Im vorderen Ladenteil gab es Bücher zu einer Mark das Stück. Weiter hinten Porzellanpuppen und silberne Etuis für handverlesene Kunden. Am Tag des Solds parkten die Amis ihre Kombischlitten vor der Tür und beluden den Kofferraum mit riesigen Westminster-Gong-Uhren. Danach statteten sie dem Bordell auf dem Viktoria-Luise-Platz einen Besuch ab. Im italienischen Eiscafé daneben überwachten die Mütter meiner Straße mit einem Auge ihre Kinder und mit dem anderen das Kommen und Gehen der GI s beim Puffeingang: «Einer ausgestiegen, der nächste in den Wagen. Rein und raus. Am laufenden Band.»
    Frau Soller beschreibt mir eine Straße, die seit langem nicht mehr existiert. Jeder kannte jeden. Ab zehn Uhr morgens wurde ein Pawlow’sches «Mahlzeit!» getauscht. Man ging auf Beerdigungen. Man erzählte, was aus der Tochter geworden ist. Frau Soller stellte eine bittere Bilanz auf: «Die Leute sind heute viel mehr zurückgezogen. Die Freundlichkeit ist auf der Strecke geblieben …»
    Ich weiß nicht, ob ich die Aufeinanderfolge der diversen Geschäfte meiner Straße im Laufe der Jahre korrekt wiedergegeben habe. Bestimmt habe ich einige verwechselt, andere vergessen. Unwichtig, das Ergebnis ist immer dasselbe. Alle diese kleinen Einzelhändler sind verschwunden, einer nach dem andern. Neben dem Mäuseloch fristete ein Asia Markt einige Monate lang eine unsichere Existenz. Mit seinen mageren Konserven- und Flaschenregalen, einigen traurigen Blumen in Zellophanpapier ein trostloser Ort. Aber der Asia Markt hatte eine

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