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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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kaum erst begonnen hat. Wilhelm Krüger und Annaliese Steinmann sind sich am Silvesterabend zwischen den Jahren 1934 und 1935 im Haus Vaterland auf dem Potsdamer Platz begegnet, dem größten Vergnügungstempel der Welt. Es gibt Papierschlangen, Partyhüte, Champagnergläser und damals schon ein Feuerwerk. Wilhelm fordert Annaliese zum Tanz auf. Das junge Paar wirbelt über die Bühne des Palmensaals. Die Eltern des jungen Mädchens lassen die beiden nicht aus den Augen. Am 4 . Juni 1936 findet die Hochzeit statt. Annelieses Onkel, Kaplan der katholischen Kirche Sankt Norbert gegenüber dem Rathaus Schöneberg, segnet sie.
    Einige Wochen später, Mitte August, posiert das jungvermählte Paar vor den brechend vollen Tribünen des Olympiastadions. Ein Fotoalbum verherrlicht die Spiele des Jahres 1936 . Man sieht darin Annaliese und Wilhelm Krüger freudestrahlend durch die Kolonnaden des Stadions schlendern. «Wandelgang! Wir haben es geschafft!», kommentiert Wilhelm mit zackigem Füllfederstrich. Man sieht sie nebeneinander nach dem Wettkampf des Frauenturnens: «Durch Kampf zum Sieg!» Man sieht Annaliese auf der vollen Tribüne auf ihrem Platz sitzen: «Der schönste Platz! Schwer erkämpft!» Man sieht die Zuschauer, die Hand zum Nazigruß erhoben: «Unser großes Erlebnis. Das erste Aufziehen der deutschen Flagge am Siegermast.» Und die Abschlussparade: «Alle siegreichen Nationen sind zur Schlussfeier angetreten!»
    Das junge Paar bezieht die Nummer  19 meiner Straße. Wilhelm ist Kaufmann bei IH -Henkel, Solingen Stahlwaren, Messer, Scheren. Sein Büro befindet sich ein paar Straßenbahnstationen weiter in der Friedrichstraße.
    Am 30 . Mai 1937 wird Ursula geboren. Annaliese Krüger kommt im Weddinger Krankenhaus Virchow auf der Station von Professor Stickel nieder, der sich als Geburtshelfer durch seine modernen Methoden und den Sinn für Hygiene einen Namen gemacht hat. Die Bettwäsche wird täglich gewechselt. Welch komische Idee, mokieren sich Annalieses Freundinnen. Sein Kind im Wedding zur Welt zu bringen, wenn man in einer solch bürgerlichen Straße wohnt! Ursula verdankt ihren Vornamen einem Schlager von Marita Gründgens, «Ich wünsch mir eine kleine Ursula, hellblond mit blauem Augenpaar», den ihre schwangere Mutter den lieben langen Tag trällerte.
    Meine Straße dient den Fotos im Familienalbum als Hintergrund. August 1941 : Annaliese Krüger nimmt mit freudiger Geste den kleinen Michael auf den Arm. Man erkennt die Dächer der Nachbarhäuser, den Fassadenstuck, die Bäume, den bewölkten Himmel. 1942 : Auf demselben Balkon blättern Ursula und Michael in einer Illustrierten. Michael sitzt bei seinem Vater auf dem Schoß. Die Aufnahme ist ziemlich misslungen. Man sieht nur die Hälfte von Wilhelm Krügers Gesicht, ein einziges Auge und einen Krawattenzipfel. 1943 : Andreas, das Nesthäkchen, ist geboren. Um den Säugling herum seine Mutter mit Brillantkette, Michael und Ursula. Annaliese Krüger hat dieses kolorierte Porträt von einem Fotoatelier ausführen lassen. Ein Geschenk für Wilhelm Krüger im fernen Russland.
    «Bleib übrig!», wünschen die Überlebenden der 19 einander, wenn der Alarm zu Ende ist und sie wieder an die Oberfläche steigen. Das Leben der Bewohner meiner Straße hängt an einem Faden. Wer weiß, wie der nächste Tag aussehen wird. Und vor allem die Nacht. Diesmal hat das Vorgartenmäuerchen aus glasierten Ziegeln, auf dem die Kinder balancierten, dran glauben müssen. Annaliese Krüger versteht nicht, warum die Engländer es ausgerechnet auf diese kleine, ruhige Straße abgesehen haben, die nie jemandem etwas zuleide getan hat. Im Radio wettert die näselnde Stimme des Sprechers gegen diesen erneuten «Terrorangriff auf die Reichshauptstadt».
    Kolonnenweise ziehen die ausgebombten Flüchtlinge über den Gehsteig. Sie transportieren ein aus den Flammen gerettetes Ölgemälde, ein paar verkohlte Möbelteile, einen Käfig mit einem verängstigten Wellensittich, die Scherben ihres einen Tag zuvor noch intakten Lebens. Bevor sie den Trümmerhaufen verlassen, der einmal ihr Haus gewesen ist, bringen sie an sichtbarer Stelle einen Zettel für Verwandte und Bekannte an, wer überlebt hat und wo man zu finden ist. Den ganzen Tag lang werden verkohlte Leichen hervorgezogen und auf dem Gehsteig aufgereiht, wo sie abgeholt werden. Beim alten Paar im ersten Stock der Nummer  19 zieht eine glühende Parteisympathisantin ein, die ausgebombt wurde. Die neue Mitbewohnerin sitzt

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