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Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)

Titel: Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascale Hugues
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Luftschutzkeller und Bombennächte vor. Da gibt es Lebensmittelkarten, Schwarzmärkte, ein paar Kollaborateure, jede Menge Widerstandskämpfer und, unverzichtbarer Statist, den blonden deutschen Offizier mit den eiskalten blauen Augen, der seine bestialischen Befehle brüllt … Die Bombardements nehmen im kollektiven Gedächtnis der Franzosen keinen so wichtigen Platz ein wie bei den Deutschen – und das mit Grund, sind doch die französischen Städte nicht systematisch ausgelöscht worden. Brest, Toulon, Le Havre und die Häfen haben die Bomben zu spüren bekommen, zum Teil Lyon, Paris wurde verschont.
     
    Meine Begegnung mit Ursula Krüger verdanke ich einer Verknüpfung von Zufällen. Auf einem Schulfest sprach ich zwischen Tombola und Musikwettbewerb mit dem Direktor über mein Projekt. Er erzählte noch am selben Tag seiner Frau davon, die am übernächsten Abend bei ihrem Italienischkurs an der Volkshochschule mit ihrer Tischnachbarin zwischen zwei Konjugationsübungen darüber plauderte. Worauf Ursula Krüger mit sich überschlagender Stimme ausrief: «Oh! Oh! Aber in dieser Straße habe ich doch meine ersten Lebensjahre verbracht! In der Nummer  19 !»
    Und so wurde das arabische Telefon rückwärts in Gang gesetzt: Die Gattin kehrte nach Hause zurück und gab Ursula Krügers Worte an den Schuldirektor weiter. Dieser berichtete am nächsten Morgen seiner Tochter, Inhaberin einer Chocolaterie in meinem Viertel, von dem eigenartigen Zufall. Zwei Tage später saß ich mit einem Espresso und drei
macarons
an einem kleinen Tisch im Hintergrund dieses Lokals, zu dessen begeisterten Stammgästen ich gehöre. Da stellte sich die Chefin vor mich hin und überbrachte mir die Nachricht brühwarm: Ihr Vater habe ihr gestern erzählt, eine Bekannte ihrer Mutter habe in meiner Straße gewohnt. In der Nummer  19 . Sie sei gebeten worden, mir ihre Telefonnummer zu geben.
    Ich rief Ursula Krüger auf der Stelle an. In derselben Woche kam sie auf einen Espresso und drei
macarons
zu mir nach Hause, ein paar Dutzend Meter von dem Haus, in dem sie mit ihren Eltern die ersten sechs Lebensjahre verbracht hat. Sie erzählte davon, als sei es gestern gewesen.
     
    Da ist eine Erinnerung im Ohr. Ursula verkriecht sich unter ihrer großen Daunendecke. Presst sie an den Kopf, um die Stille nicht zu hören. Denn seit in der Straße die Bombardierungen eingesetzt haben, ist die Stille verdächtig geworden. Normalerweise dauert sie nicht lange. Ein kurzes Vorspiel. Ursula schläft nicht. Sie liegt auf der Lauer. Sie horcht auf die Geräusche auf der Straße, in der keine einzige Lampe mehr brennt. Ursula hört, wie die Leute anfangen, schneller und schneller zu laufen. Tapp. Tapp. Tapp. Die kurzen, erschrockenen Schritte unten auf dem Gehsteig zerkratzen die Stille. Schneller und schneller. Lebhafte Stimmen, schlagende Türen. Kurz darauf fängt die Sirene an zu heulen. Sie durchdringt das Kinderzimmer, ein Eckzimmer, von dem der Eltern durch eine Tapetentür getrennt. Ursula krümmt sich in ihrem Bett zusammen. Sie hört ihr Herz gegen die Brust pochen. Hört die Holzlamellen der Jalousien klappern. Die Mutter stürzt herein: Anziehen! Schnell! Husch! Husch! Die Anziehsachen hat Ursula schon am Abend zuvor auf den Stuhl gelegt. Damit es schnell geht. Rock, dicke Strickjacke, Mantel. Die Wollstrümpfe und ihren Pullover hat sie zum Schlafen anbehalten. Ein Nachthemd trägt sie schon lange nicht mehr. Man hat zehn, höchstens fünfzehn Minuten, bevor die Bomber eintreffen. Husch! Husch! Jetzt wird’s gefährlich. Ursula presst die Hände auf die Ohren.
    Im Gänsemarsch die Wendeltreppe runter zum Keller. Das Köfferchen nicht vergessen, Luftschutzkoffer nennt man es. Mit dem Wichtigsten: Papiere, Geld und dem Porträt des Vaters in Uniform. Er ist weit weg, an der «Ostfront», wie die Erwachsenen dieses graue Magma auf der Weltkarte nennen, von dem Ursula die Konturen nicht ausmachen kann. Eine Mondlandschaft ohne Bäume, ohne Flüsse, ohne Hügel, so stellt sie sich das Land vor, in dem ihr Vater kämpft. Die «Ostfront» gehört nicht wirklich zum Planeten Erde. Der Koffer steht immer bei der Tür. In Bereitschaft. Neben dem Eimer, der mit Sand gefüllt ist, um einen schwelenden Brand zu löschen. Ursulas kleiner Bruder Michael muss getragen werden. Kira, das sechzehnjährige Kindermädchen aus Sewastopol, nimmt den Korb mit etwas Verpflegung und Trinkwasser mit. Kira ist eine Zwangsarbeiterin. Als sie ein paar Jahre zuvor in die

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