Ruhige Straße in guter Wohnlage: Die Geschichte meiner Nachbarn (German Edition)
Stellen wenden muss. Dr. Heinemann.»
Am 19 . Mai 1953 meldet das Bezirksamt Schöneberg von Berlin, Abteilung Gesundheitswesen, Gesundheitsamt der Abteilung Bau- und Wohnungswesen – Amt für Baulenkung: «Obengenanntes Ruinengelände wird von der Umgebung als allgemeiner Müll- und Abfallabladeplatz benutzt. Es ist dadurch ein hygienischer Gefahrenherd. Wir bitten um Beseitigung desselben und schlagen mindestens eine Vermauerung sämtlicher Zugänge und Kellerfenster vor. Gleichzeitig bitten wir, die Arbeiten so in Angriff zu nehmen, dass sie vor Eintreten der wärmeren Jahreszeit beendet sind.»
Und am 29 . Oktober 1953 schreibt Philipp Halter – Sprengunternehmen. Spezialität: Sprengungen von Brückenpfeilern, Maschinen-Fundamenten, Schornsteinen, sowie Unterwasser-, Film- und Kultursprengungen aller Art. Ältestes Groß-Berliner-Spezialunternehmen. Ausführung schwieriger Abbrüche u. Pressluftarbeiten aller Art – an das Bezirksamt Schöneberg, Baupolizei: «Hierdurch teile ich Ihnen mit, dass die Spreng- und Abräumarbeiten auf dem Grundstück Nummer 19 beendet wurden.»
1951 bekommt Familie Krüger endlich die Erlaubnis, sich wieder in ihrem Haus in Erfurt niederzulassen. Wilhelm Krüger hat Mühe, Arbeit zu finden. Er wird dreimal wegen Spionage verhaftet. Annaliese Krüger geht in der Stadt von einem Gefängnis zum nächsten, um ihren Mann zu finden. «Ein Fleischklumpen.»
Er war nie in einer Partei, weder in der NSDAP noch in der SED . Erst als er schließlich der Ost- CDU beitritt, findet er eine Stelle als Buchhalter im Konsum. Als Wilhelm Krüger sich am 20 . November 1953 , drei Wochen nach der Sprengung der Nummer 19 in Berlin, frühmorgens zu Fuß zum Bahnhof begeben will, um den Zug zur Arbeit zu nehmen, schießt aus einer kleinen Nebengasse ein Angestellter der Reichsbahn mit einem Culemeyer-Straßenroller hervor. Es ist nebelig. Die Ausfahrt ist nicht beleuchtet. Der Fahrer hat die ganze Nacht gefeiert und ist betrunken. Wilhelm wird mit voller Wucht erfasst. Er stirbt auf der Stelle. Er ist 51 Jahre alt. Der Fahrer flüchtet. Durch das Fahrerbuch ist der Mann schnell gefunden. Fünf Jahre lang führt Annaliese Krüger einen Prozess. In Begleitung ihrer Tochter fährt sie zur Verhandlung am Obergerichtshof der DDR nach Berlin. Zum Glück haben wir ein Haus und Möbel, denkt Ursula, als sie aus dem Zug die Berliner Straßen betrachtet. Annaliese Krüger gewinnt den Prozess.
Im Juli 1961 schenkt Ursulas Patentante ihr und ihrem Bruder Andreas ein Flugzeugticket von Berlin nach Hannover. Sie sind Deutsche und haben noch nie den Rhein gesehen! In einer Heidelberger Jugendherberge hört Ursula am 13 . August, dass in Berlin eine Mauer gebaut wird. Ursula und Michael können nicht zurück. Sie werden im Aufnahmelager Marienfelde von den Alliierten verhört. Sie beschließen, in Bonn Medizin zu studieren.
Am 30 . Mai 1963 , an Ursulas Geburtstag, stößt ihre Mutter im Rahmen eines Familienzusammenführungsprogramms zu ihren Kindern in Westberlin. Von einer Kneipe auf dem Moritzplatz aus überwachen Ursula und ihre Brüder den Grenzposten. Alles ist still. Kein Mensch. Plötzlich öffnet sich das Türchen. Annaliese Krüger erscheint, eskortiert von einem Vopo, der ihre beiden Koffer trägt. Sie hält ihre Hunde, Peter und Putsi, an der Leine.
Ein paar Tage später entladen zwei gedeckte Güterwagen von 11 Metern Länge, 2 , 5 Metern Breite und 2 , 10 Metern Höhe den Krüger’schen Haushalt in Westberlin. Annaliese Krüger hat sich tausend bürokratische Schikanen gefallen lassen müssen, um ihre Möbel mitnehmen zu dürfen. Sie musste, in vier Exemplaren, ein Formular für jedes Buch mit Verfasser und Erscheinungsjahr ausfüllen. Man verlangte, dass sie jedes Gemälde vom Direktor des Erfurter Museums schätzen ließ. Der junge Arbeiter-und-Bauern-Staat darf seiner wertvollen Kunstschätze nicht beraubt werden. «Das schafft nicht jeder!», staunt Ursula. Annaliese ist eine
Powerfrau
geworden. Ursula gefällt dieses Wort aus dem Emanzipationsvokabular.
Das Haus in meiner Straße gibt es nicht mehr. Die Wohnungssuche geht los. Als Ausgebombte hat Annaliese Krüger in Berlin Wohnrecht. Es wird ihr eine Neubauwohnung aus den Fünfzigern zugewiesen. Ihre Möbel in eine Streichholzschachtel mit niedrigen Decken und winzigen Zimmerchen quetschen? Ausgeschlossen!
Sie findet in Lichterfelde-West eine große Wohnung in einem Gebäude der Jahrhundertwende, aus derselben
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