Ruht das Licht
Stimme fest klang: »Ich tue nur nicht mehr so, als wären wir eine glückliche Familie. Jetzt lebe ich einfach mal mein eigenes Leben.«
Plötzlich fühlte sich dieser Moment bedeutsam an, wie wir hier aneinandergelehnt in dieser ausgeblichenen Sitzecke im Kenny’s saßen und uns in dem Serviettenhalter auf dem Tisch spiegelten. Ich fühlte mich wie eine Insel, die immer weiter vom Festland abtrieb. Ich spürte, wie mein Gehirn eine Aufnahme von diesem Moment speicherte, die verwaschene Beleuchtung, die abgestoßenen Kanten der Teller, der noch immer volle Kaffeebecher vor mir, die gedeckten Farben der T-Shirts, die Sam übereinander trug.
»Wow«, sagte Rachel noch einmal. Dann eine ganze Weile nichts. »Grace, wenn du das wirklich ernst meinst … sei vorsichtig, ja? Ich meine … tu dem Jungen nicht weh. Ich hab das Gefühl, das ist so eine Art von Krieg, bei dem ’ne ganze Menge Leichen übrig bleibt und hinterher alles in Schutt und Asche liegt.«
»Glaub mir«, entgegnete ich, »der Junge ist das Einzige, was mir bei all dem hier wichtig ist.«
Rachel stieß einen tiefen Seufzer aus. »Okay. Du weißt, ich tu sowieso alles, worum du mich bittest. Du solltest vielleicht mal die mit den Zickenstiefeln kontaktieren, damit sie auch im Bilde ist.«
»Danke«, sagte ich und Sam legte den Kopf auf meine Schulter, als wäre er mit einem Mal genauso erschöpft wie ich. »Wir sehen uns morgen, ja?«
Rachel stimmte zu und verabschiedete sich. Ich schob das Handy zurück in die Tasche von Sams Cargohose und lehnte dann meinen Kopf an seinen. Dann schloss ich die Augen und gestattete mir einen Moment lang, nur den Geruch seiner Haare einzuatmen und so zu tun, als wären wir schon wieder in Becks Haus. Ich wollte mich einfach nur neben ihm zusammenrollen und schlafen, ohne mir Gedanken über meine Eltern zu machen oder darüber, was Cole denken mochte, oder über diesen Geruch nach Mandeln und Wolf, der sich schon wieder auf meiner Haut zu entfalten begann.
»Aufwachen«, sagte Sam.
»Ich schlafe nicht«, erwiderte ich.
Sam blickte mich einfach nur an. Dann sah er auf meinen Kaffee. »Du hast keinen einzigen Schluck von deiner Flüssigenergie getrunken, Grace.« Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern zog ein paar Geldscheine aus seinem Portemonnaie und klemmte sie unter seine eigene, leere Tasse. Er sah müde aus und älter, unter den Augen hatte er dunkle Ringe und plötzlich durchzuckte mich das schlechte Gewissen. Ich machte ihm das Leben so schwer.
Meine Haut fühlte sich seltsam an und kribbelte; in meinem Mund schmeckte ich wieder Kupfer.
»Lass uns nach Hause gehen«, sagte ich.
Sam fragte nicht, welches Zuhause ich meinte. Es gab nur noch einen Ort, den ich so bezeichnen würde.
KAPITEL 43
SAM
Ich hätte wissen müssen, dass es so weit kommen würde. Und vielleicht hatte ich es auch gewusst, so wie man manche Dinge zuerst mit dem Bauch weiß, bevor der Kopf etwas davon mitkriegt, denn ich war nicht überrascht, als ich den blauen Geländewagen in Becks Auffahrt sah, einen von diesen glänzenden, schicken, ungefähr so groß wie ein Minisupermarkt. Auf dem Nummernschild stand CULPEPR und davor hatte sich Tom Culpeper aufgebaut. Er redete wild gestikulierend auf Cole ein, der jedoch extrem unbeeindruckt wirkte.
Ich hatte nichts gegen Tom Culpeper, wenn er nicht gerade eine Jagd auf die Wölfe anzettelte und mich in den Hals schoss. Mein Magen zog sich zusammen, als ich ihn dort in der Einfahrt stehen sah.
»Ist das Tom Culpeper?«, fragte Grace mit einer Stimme, die ähnlich begeistert klang, wie ich mich fühlte. »Meinst du, er ist wegen Isabel hier?«
Als ich an der Straße parkte, breitete sich ein nervöses Prickeln in meinen Gliedern aus.
»Nein«, antwortete ich. »Ich glaube nicht.«
COLE
Tom Culpeper war ein Arschloch.
Ich bin selbst eins, also darf ich so was denken. Seit fünf Minuten hatte er nun schon versucht, aus mir herauszukriegen, wo Beck war, als Sams kleiner grauer VW am Straßenrand hielt. Sam wirkte ziemlich ungehalten, als er ausstieg. Offensichtlich hatte er schon mal mit diesem Penner zu tun gehabt.
Als Sam über den spröden Rasen auf uns zukam – die Sonne schien an diesem Nachmittag nicht und er warf keinen Schatten –, hörte Tom Culpeper endlich auf zu faseln.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Sam.
Culpeper hakte die Daumen in die Taschen seiner Kakihose und musterte Sam. Plötzlich wirkte er ganz selbstsicher und jovial. »Du bist Geoffrey Becks Sohn.
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