Ruht das Licht
Den er adoptiert hat.«
Sam lächelte kühl. »Der bin ich.«
»Ist er da?«
»Ich fürchte, nicht«, antwortete Sam. Grace kam zu uns und blieb zwischen ihm und mir stehen. Ihre Stirn war ganz leicht gerunzelt, als könnte sie Musik hören, die sonst keiner wahrnahm und die ihr nicht gefiel. Culpepers liebenswürdiger Gesichtsausdruck wurde härter, als er sie sah. »Ich richte ihm aus, dass Sie hier waren«, fügte Sam hinzu.
»Kommt er denn heute gar nicht wieder?«, wollte Culpeper wissen.
»Nein, Sir«, entgegnete Sam und schaffte es, dabei höflich und unverschämt zugleich zu klingen. Vielleicht war es aber auch keine Absicht.
»Schade. Ich habe nämlich was für ihn und das hätte ich ihm am liebsten persönlich übergeben. Aber weißt du was, ich glaube, du kannst es auch für ihn annehmen.« Er wies mit dem Kinn auf den Kofferraum seines Wagens.
Sams Gesicht war so grau wie der Himmel über uns, als er und ich Culpeper folgten. Grace kam zögerlich hinterher.
»Was meinst du, könnte das hier wohl von Interesse für Mr Beck sein?«, fragte Culpeper und hob die Kofferraumklappe an.
Dieser Moment. Es gibt Momente, die einen für immer verändern, und dies hier war so einer für mich.
Im Kofferraum des Geländewagens, zwischen Plastikeinkaufstüten und einem Benzinkanister, lag ein toter Wolf. Auf der Seite, ein bisschen gequetscht, damit er hineinpasste, die Beine überkreuz. Das Fell an seinem Hals und an seinem Bauch war blutverklebt. Sein Unterkiefer hing ein wenig herunter, die Zunge lag schlaff über den Eckzähnen.
Victor.
Sam hob langsam die Faust an den Mund und senkte sie dann wieder. Ich starrte in das blassgraue Gesicht mit der dunklen Zeichnung und in Victors braune Augen, die ausdruckslos an die stoffbezogene Wand des Kofferraums glotzten.
Ich verschränkte die Arme und ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern zu unterdrücken. Mein Herz hämmerte, hektisch und verzweifelt. Ich hätte mich abwenden müssen, aber ich konnte nicht.
»Was soll das?«, fragte Sam kalt.
Culpeper griff das Bein des Wolfs und zog ihn mit einer einzigen Bewegung aus dem Auto. Mit einem schrecklichen dumpfen Klatschen landete er auf dem Boden. Grace schrie auf, ihre Stimme war voll von dem Entsetzen, das eben erst in mir aufstieg.
Jetzt musste ich mich wegdrehen. Es fühlte sich an, als würden sich meine Eingeweide in mir entrollen.
»Das kannst du deinem Vater ausrichten«, knurrte Culpeper. »Sag ihm, er soll aufhören, diese Viecher zu füttern. Und wenn ich noch mal so eins auf meinem Grundstück sehe, erschieße ich es auch. Ich erschieße jeden Wolf, den ich zu Gesicht bekomme. Wir sind hier in Mercy Falls und nicht im Tierpark.« Er sah Grace an, die genauso elend wirkte, wie ich mich fühlte, und sagte zu ihr: »Ich hätte gedacht, dass du dir anständigere Freunde suchen würdest. Wenn man bedenkt, wer dein Vater ist.«
»Anständigere Freunde als Ihre Tochter?«, schaffte Grace zu kontern.
Culpeper lächelte dünn.
Sam war sehr still geworden, aber Grace’ Stimme schien ihn wieder aufgerüttelt zu haben. »Mr Culpeper, ich bin mir sicher, Ihnen ist bekannt, welchen Beruf mein Adoptivvater ausübt.«
»Allerdings. Eine unserer wenigen Gemeinsamkeiten.«
Sam klang verstörend ruhig. »Ich möchte wetten, dass es gerichtliche Folgen hat, wenn man anderen Leuten einfach so ein totes Wildtier in die Einfahrt schmeißt. Wir befinden uns außerhalb der Jagdsaison für so ziemlich jede Tierart, und erst recht für Wölfe. Ich könnte mir vorstellen, falls jemand etwas über diese Folgen weiß, dann mein Vater.«
Tom schüttelte den Kopf und ging um den Wagen herum zur Fahrertür. »Von mir aus. Wünsch ihm Glück dafür. Aber wenn man den Richter auf seiner Seite haben will, muss man schon mehr als nur ein paar Monate im Jahr in Mercy Falls verbringen.«
Ich hätte ihm so gerne eine reingehauen, dass es mich fast zerriss. Ich wollte ihm dieses wächserne, selbstzufriedene Lächeln aus der Fresse polieren.
Ich glaubte nicht, dass ich mich noch viel länger zurückhalten konnte.
Ich spürte eine Berührung am Arm, und als ich runtersah, umklammerten Grace’ Finger meine Faust. Sie sah mich an und biss sich auf die Lippe. Ihr Blick und ihre Schulterhaltung verrieten, dass sie ihm selbst am liebsten eins verpasst hätte, und das hielt mich davon ab.
»Räumt das Viech lieber zur Seite, wenn ihr nicht wollt, dass ich drüberfahre«, rief Culpeper und knallte die Fahrertür hinter sich zu.
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