Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
heißen Haut, und tropfte von meinem Kinn.
    Sam wartete lange, dass Cole etwas sagte, und als er es nicht tat, sprach er selbst mit leiser, feierlicher Stimme ein Gedicht: »Der Tod rührt an das Klingende wie ein Schuh ohne Fuß, wie ein Kleid ohne Mann …« Cole wurde ganz still. Völlig reglos. Fast ohne zu atmen. Eine so tiefe Art von Stille, dass man regelrecht sehen konnte, wie vollkommen sie ihn durchdrang.
    Sam trat einen Schritt auf Cole zu und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Das ist nicht Victor. Das ist nur Victors Hülle, die er für kurze Zeit getragen hat. Aber jetzt nicht mehr.«
    Beide sahen sie auf den steifen Körper des Wolfs hinunter, klein, besiegt.
    Cole sank zu Boden.
COLE
    Ich musste ihm in die Augen sehen.
    Ich zog das Laken von dem Wolf herunter, damit nichts mehr zwischen mir und Victors braunen Augen war. Sie wirkten leer und weit weg, wie Geister seiner wirklichen Augen.
    Die Kälte ließ meine Schultern erbeben, eine leise Drohung dessen, was noch kommen würde, aber ich schob sie von mir, verdrängte sie aus meinem Kopf. Ich sah ihm in die Augen und versuchte, mir den Wolf wegzudenken.
    Ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich Victor gefragt hatte, ob er mit mir eine Band gründen wolle. Wir saßen in seinem Zimmer, das zu einem Viertel von seinem Bett und zu drei Vierteln von seinem Schlagzeug ausgefüllt wurde, und er hämmerte gerade ein donnerndes Solo. In dem kleinen Zimmer hallte das so laut, als wären drei Drummer am Werk. Die Bilderrahmen seiner Poster an den Wänden wackelten und sein Wecker hüpfte langsam auf den Rand des Nachttischs zu. Victors Augen leuchteten vor fieberhaftem Eifer, und jedes Mal wenn er auf die Bassdrum trat, zog er eine irre Grimasse in meine Richtung.
    Angies Stimme von nebenan war kaum zu hören. »Vic, mir fallen gleich die Ohren ab! Mach die verdammte Tür zu, Cole!«
    Ich schloss Vics Zimmertür.
    »Klingt abgefahren«, sagte ich.
    Victor warf mir einen seiner Drumsticks zu. Er flog an meinem Kopf vorbei und ich musste mich strecken, um ihn noch zu erwischen. Ich schlug einmal mit voller Wucht auf das Becken.
    »Victor!«, jaulte Angie.
    »Ich habe magische Hände!«, schrie er.
    »Eines Tages werden Leute Geld dafür bezahlen, zuhören zu dürfen!«, rief ich.
    Victor grinste mich an und spielte mit nur einem Stick und der Bassdrum einen schnellen Wirbel.
    Ich hieb noch einmal auf das Becken, um Angie zu ärgern, und sah dann Victor an.
    »Was?«, fragte Victor. Er hieb wieder auf die Trommeln und mittendrin einmal auf den Stick, den ich in der Hand hielt.
    »Bist du bereit?«, fragte ich.
    Victor ließ den Drumstick sinken und sah mich fragend an. »Wofür?«
    »NARKOTIKA«, erwiderte ich.
    Jetzt, im eiskalten Wind, unter der Sonne, die langsam verschwand, streckte ich die Hand aus und berührte das Fell an Victors Schulter. Mit zittriger, belegter Stimme sagte ich: »Ich bin hier, weil ich wegwollte. Um alles zu vergessen. Ich dachte … ich dachte, ich hätte nichts zu verlieren.«
    Der Wolf lag da, klein und grau und dunkel im Dämmerlicht. Tot. Ich musste ihm weiter in die Augen sehen. Ich durfte nicht vergessen, dass er kein Wolf war. Das war Victor.
    »Und es hat auch funktioniert, Victor.« Ich schüttelte den Kopf. »Das weißt du, oder? Alles verschwindet, wenn man ein Wolf ist. Es ist genau das, was ich wollte. Es ist so … so gut. Das absolute Nichts. Wenn ich jetzt ein Wolf wäre, würde ich mich an nichts erinnern. Als wäre das alles nie passiert. Es wäre mir egal, dass du tot bist, weil ich noch nicht mal mehr wüsste, wer du bist.«
    Sam neben mir wandte das Gesicht ab. Mir war überdeutlich bewusst, dass er weder mich noch Grace ansah.
    Ich schloss die Augen.
    »So viel … Schmerz. Diese …« Meine Stimme versagte wieder, klang plötzlich gefährlich wackelig. Aber ich würde mir nicht gestatten aufzuhören. Ich öffnete die Augen. »Schuldgefühle. Wegen dem, was ich dir angetan habe. Wegen allem, was ich dir angetan habe. Das wäre – alles nicht mehr da.« Ich stockte und fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. Beinahe unhörbar sprach ich weiter. »Aber das ist genau das, was ich immer mache, nicht wahr, Vic? Scheiße bauen und dann einfach abhauen.«
    Ich streckte die Hand aus und berührte eine der Vorderpfoten des Wolfs; sein Pelz fühlte sich rau und kalt unter meinen Fingerspitzen an. »Ach, Vic«, fuhr ich fort und die Worte blieben mir fast im Hals stecken, »du warst so gut. Magische Hände.« Er

Weitere Kostenlose Bücher