Ruht das Licht
mein Dad gesagt hatte: Ich war noch nicht achtzehn. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie Officer Koenig an die Tür klopfte, hinter ihm meine Eltern, die mich wieder mit zurück nach Hause schleifen wollten. Mein Magen verkrampfte sich.
Sam klopfte sachte an die offene Badezimmertür. »Alles in Ordnung?«
Ich öffnete die Augen und sah ihn in der Tür stehen. Er hatte eine Jogginghose und ein T-Shirt mit einem Oktopusaufdruck angezogen. Vielleicht war das Ganze ja doch keine so schlechte Idee gewesen.
»Mir geht’s gut.«
»Du siehst süß aus in deinem Schlafanzug«, sagte er. Seine Stimme klang unsicher, als wäre das etwas, was er eigentlich nicht hatte verraten wollen.
Ich legte die Hand auf seine Brust und spürte, wie sie sich unter dem dünnen Stoff hob und senkte. »Selber.«
Sam verzog den Mund zu einem kläglichen Lächeln und schälte dann meine Hand von seiner Brust; ohne sie loszulassen, schaltete er das Badezimmerlicht aus und führte mich dann den Flur hinunter. Barfuß tapste er über die Dielen.
Sein Zimmer wurde nur vom Flurlicht und der Verandalampe unter seinem Fenster erhellt; ich sah gerade genug, um die weiße, ordentlich aufgeschlagene Bettdecke ausmachen zu können. Sam ließ meine Hand los und sagte: »Ich mache im Flur das Licht aus, wenn du im Bett liegst, dann läufst du nirgends gegen.«
Er wandte schüchtern das Gesicht ab und ich konnte mir vorstellen, wie er sich fühlte. Es war, als würden wir uns gerade erst kennenlernen, als hätten wir uns nie geküsst oder die Nacht miteinander verbracht. Alles war frisch und neu und Furcht einflößend.
Ich kletterte ins Bett. Das Laken fühlte sich kühl unter meinen Händen an, als ich auf die Wandseite der Matratze hinüberrutschte. Im Flur ging das Licht aus; ich hörte Sam seufzen – ein schwerer, zittriger Seufzer –, dann quietschten die Bodendielen unter seinen Füßen. Es war gerade so hell, dass ich den Umriss seiner Schultern erkennen konnte, als er zu mir ins Bett stieg.
Einen Moment lagen wir einfach da, ohne einander zu berühren, zwei Fremde, und dann rollte sich Sam zu mir herüber, bis sein Kopf auf meinem Kissen lag.
Als er mich küsste, sanft und vorsichtig, lagen darin das Prickeln unseres ersten Kusses und die geübte Vertrautheit all der vielen Küsse danach. Unter dem T-Shirt fühlte ich sein Herz schlagen, ein hastiges Dudumm, das sich noch mehr beschleunigte, als ich meine Beine um seine wand.
»Ich weiß nicht, wie es weitergeht«, flüsterte er. Sein Gesicht lag an meinem Hals und er sprach die Worte direkt in meine Haut.
»Ich auch nicht«, entgegnete ich. Mein Magen krampfte sich zusammen – die Nervosität. Und das Ding in mir.
Draußen sangen noch immer die Wölfe, ihre Rufe schwollen an und fielen ab, bis sie kaum noch zu hören waren. Sam neben mir war sehr still. »Fehlt es dir?«, fragte ich ihn.
»Nein«, antwortete er, so schnell, dass ich erst glaubte, er hätte gar nicht über meine Frage nachgedacht. Nach einer Weile gab er mir den Rest der Antwort, stammelnd und zögerlich. »Das hier ist das, was ich will. Ich will ich sein. Ich will wissen, was ich tue. Ich will mich erinnern. Ich will jemand sein.«
Aber so war es ja gar nicht. Er war immer jemand gewesen, auch als Wolf, im Wald hinter unserem Haus.
Ich drehte schnell das Gesicht weg, um mir die Nase mit einem Taschentuch abzuwischen, das ich aus dem Badezimmer mitgenommen hatte. Ich musste gar nicht hinsehen, um zu wissen, dass es voller roter Flecken war.
Sam atmete tief durch und schlang die Arme um mich. Er vergrub den Kopf an meiner Schulter und ich spürte, wie er sich in den Stoff meines Schlafanzugtops krallte und meinen Geruch einsog. »Bleib bei mir, Grace«, flüsterte er und ich ballte meine zitternden Fäuste vor seiner Brust. »Bitte bleib bei mir.«
Ich roch meine eigene Haut, diesen kränklich-süßen Mandelgeruch, und ich wusste, dass er damit nicht nur heute Nacht meinte.
SAM
Folded in my arms you’re a butterfly in reverse giving up your wings inheriting my curse
you’re letting go of
me
you’re letting go
KAPITEL 42
SAM
Der längste Tag meines Lebens begann und endete damit, dass Grace ihre Augen schloss.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag Grace nicht in meinen Armen, sondern eher unelegant ausgestreckt über mir und meinem Kissen, sodass ich nicht aufstehen konnte. Sonnenlicht umgab uns; das leuchtende Rechteck, das ins Zimmer fiel, rahmte uns beide perfekt ein. Wir hatten bis
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