Ruht das Licht
Grace’ Zimmertür zu setzen, mit dem Rücken zur Wand, den Kopf in den Händen vergraben. Ohne dass ich es wollte, speicherte mein Gedächtnis alles über diese Wände, diesen Ort, diese Nacht.
Ich hatte keine Hoffnung, dass sie mich zu ihr lassen würden.
Also war alles, worum ich betete, dass niemand herauskommen würde, um mir zu sagen, dass es vorbei war. Ich betete, dass die Tür nicht aufgehen würde. Bleib einfach nur am Leben.
KAPITEL 52
SAM
Isabel kam mich holen und zerrte mich durch die morgendlich geschäftigen Flure in ein leeres Treppenhaus, wo am Fuß der Treppe schon Cole wartete. Er war rastlos, voller Energie, die Hände zu Fäusten geballt, die er immer wieder leicht aufeinanderschlug.
»Okay, ich kann nichts versprechen«, fing Cole an. »Das sind alles nur Vermutungen. Aber zumindest habe ich eine … eine Theorie. Die Sache ist nur die: Selbst wenn ich recht habe, kann man das nicht beweisen. Nur wenn ich falschliege.« Als von mir nichts kam, fuhr er fort: »Was ist die große Gemeinsamkeit, die Grace und der Wolf haben?« Er wartete. Anscheinend sollte ich antworten.
»Der Geruch.«
»Das hab ich auch erst gedacht«, schaltete sich Isabel ein. »Wobei es eigentlich ziemlich offensichtlich ist, nachdem Cole es mir erklärt hat.«
»Die Verwandlung«, sagte Cole. »Sowohl Grace als auch der Wolf haben sich nicht verwandelt seit – wie lange – mehr als zehn Jahren? Das ist doch die magische Zahl, oder? Wölfe, die sich so lange nicht mehr verwandeln, sterben. Ich weiß, du hast gesagt, das ist die natürliche Lebenserwartung eines Wolfs, aber ich glaube, damit hat es nichts zu tun. Ich glaube, jeder Wolf, der stirbt, ohne sich zu verwandeln, stirbt wie dieser Wolf – an irgendwas. Aber nicht an Altersschwäche. Und ich glaube, das ist es, was auch Grace umbringt.«
»Der Wolf, zu dem sie nie geworden ist«, murmelte ich, als mir plötzlich wieder einfiel, was sie in der Nacht zuvor gesagt hatte.
»Ganz genau«, bestätigte Cole. »Ich glaube, sie sterben, weil sie sich nicht mehr verwandeln. Das Verwandeln selbst ist meiner Meinung nach nicht der Fluch. Der wahre Übeltäter ist das, was unserem Körper befiehlt, sich zu verwandeln – was immer es ist.«
Ich blinzelte.
»Das ist nicht dasselbe«, erklärte Cole weiter. »Wenn das Verwandeln die Krankheit ist, ist das eine Sache. Aber wenn man sich wegen der Krankheit verwandelt, ist das etwas vollkommen anderes. Also, hier meine Theorie – und zwar ’ne ziemlich unwissenschaftliche, aber das muss ich euch ja nicht sagen. Wissenschaft ohne Mikroskop oder Blutuntersuchungen oder auch nur so was wie Realitätsbezug. Na ja, Grace ist jedenfalls gebissen worden. Dabei ist das – in Ermangelung eines besseren Begriffs nennen wir’s mal Wolfsgift – in ihren Körper eingedrungen. Was auch immer in diesem Wolfsspeichel steckt, das ist das wirklich Schlimme. Nehmen wir stattdessen an, das Verwandeln ist in unserem Fall der Held und irgendwas im Wolfsspeichel löst im Körper eine Verteidigungsreaktion aus – und das ist dann eben die Verwandlung, mit der das Gift in Schach gehalten wird. Jedes Mal wenn man sich verwandelt, wird also das Gift bekämpft. Und aus irgendeinem Grund wird das Ganze zusätzlich auch noch vom Wetter gesteuert. Es sei denn –«
»Man kappt diese Verbindung«, beendete Isabel den Satz.
»Und verhindert so die Verwandlung. Genau.« Coles Blick wanderte hoch zu den Treppen über uns, in Richtung der Etage, auf der Grace lag. »Wenn man auf irgendeine Weise die Fähigkeit des Körpers zerstört, Hitze und Kälte als Auslöser zu nutzen, sieht es erst mal aus, als wäre man geheilt, aber man ist es nicht. Es … schwärt in einem weiter.«
Ich war müde und ich hatte keine Ahnung von Naturwissenschaft. Cole hätte mir jetzt auch erzählen können, dass man von diesem Wolfsgift anfing, Eier zu legen, und selbst das hätte sich für mich ganz vernünftig angehört. »Okay. Klingt ja gut, wenn auch etwas vage. Aber was ist das Fazit? Was schlägst du vor?«
»Ich denke, sie muss sich verwandeln«, erwiderte Cole.
Ich brauchte viel zu lange, um zu begreifen, was er da sagte. »In einen Wolf?«
Cole zuckte mit den Schultern. »Wenn meine Theorie stimmt.«
»Stimmt sie denn?«
»Ich weiß es nicht.«
Ich schloss die Augen. Ohne sie zu öffnen, sagte ich: »Und ich nehme an, du hast auch eine Theorie, wie wir es schaffen, dass sie sich verwandelt.«
Oh Gott, Grace. Ich konnte nicht glauben, was ich da
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