Ruht das Licht
sehen, wie er konzentriert die Augenbrauen zusammenzog, wenn er das Mosaik und die Statue zum ersten Mal sah. Das war genau die Art von Dingen, für die Sam lebte.
Mein Blick fiel auf etwas, was unter der Bank vor mir lag, und ich kehrte abrupt zurück in die Gegenwart. Es war ein dünner schmutzig weißer … Knochen. Ich hob ihn auf und betrachtete die Kauspuren darauf. Dann sah ich plötzlich noch mehr Knochen um die Bank herum liegen, halb verdeckt durch das Laub. Ein Stück unterhalb der Bank stand eine Glasschale, verdreckt und ein bisschen angestoßen, aber ganz sicher nicht antik. Ich brauchte nur einen kurzen Augenblick, bis ich verstand.
Ich richtete mich auf und sah Isabel ins Gesicht. »Du hast sie gefüttert, stimmt’s?«
Isabel starrte nur trotzig zurück und antwortete nicht.
Ich hob die Schale auf und schüttelte die beiden vertrockneten Blätter heraus, die darin lagen. »Was hast du ihnen denn zu fressen gegeben?«
»Babys«, sagte Isabel.
Ich sah sie nur an.
»Fleisch natürlich. Ich bin doch nicht blöd. Und auch nur, wenn es richtig kalt war. Kann genauso gut sein, dass die verdammten Waschbären alles aufgefuttert haben.« Sie klang streitlustig, fast aggressiv. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie mit ihrer heimlichen Fürsorglichkeit aufzuziehen, aber der scharfe Unterton in ihrer Stimme hielt mich davon ab.
Stattdessen witzelte ich: »Oder fleischfressende Hirsche. Immer nur Blätter ist ja auch irgendwie öde.«
Isabel verzog den Mund zu ihrem typischen winzigen Lächeln, das immer ein bisschen spöttisch wirkte. »Wahrscheinlich eher Bigfoot.«
Wir fuhren beide zusammen, als vom See her ein lang gezogener Schrei ertönte, fast wie ein schrilles, gespenstisches Lachen. Direkt darauf folgte ein Platschen.
»Mein Gott«, japste Isabel, eine Hand auf ihren Magen gepresst.
Ich atmete tief durch. »Ein Eistaucher. Wir haben ihn aufgeschreckt.«
»Ich sag’s ja, dieser ganze Naturmist wird echt überbewertet. Tja, auf jeden Fall glaube ich nicht, dass Olivia sich hier irgendwo rumtreibt, sonst hätten ja wohl kaum wir diesen Eistaucher aufgeschreckt. So ein Wolf, der sich gerade in ein Mädchen verwandelt, wäre wohl doch noch ein klitzekleines bisschen lauter.«
Ich musste zugeben, dass ihre Theorie einleuchtend klang. Außerdem wusste ich immer noch nicht so recht, wie wir Olivias plötzliche Rückkehr nach Mercy Falls erklären sollten, darum war ein winziger Teil von mir sogar ganz erleichtert.
»Können wir dann jetzt endlich Kaffee trinken gehen?«
»Okay«, stimmte ich zu, ging aber noch ein paar Schritte über die verborgene Terrasse in Richtung See. Wenn man von dem Mosaik wusste, spürte man sofort, wie unnachgiebig der Untergrund war, ganz anders als der Waldboden. Ich lief zu der Frauenstatue hinüber und hob die Hände an den Mund, sprachlos, als ich den Ausblick von dort sah. Eine Weile betrachtete ich einfach nur den still daliegenden See, umrahmt von kahlen Bäumen, und den schwarzen Kopf des Eistauchers, der über die Oberfläche glitt, bis ich schließlich merkte, dass ich unbewusst den ewig staunenden Ausdruck der Statue imitierte. »Hast du das hier gesehen?«
Isabel stellte sich zu mir. »Ach, Landschaften«, kommentierte sie wegwerfend. »Kauf dir doch ’ne Postkarte. Lass uns gehen.«
Aber mein Blick war zum Boden geschweift. Plötzlich fing mein Herz an zu rasen. »Isabel«, flüsterte ich, starr vor Schreck.
Auf der anderen Seite der Statue lag ein Wolf im Laub, sein grauer Pelz hatte beinahe dieselbe Farbe wie die toten Blätter. Ich konnte gerade so seine schwarze Nase und den Umriss eines Ohrs erkennen, das zwischen den Blättern hervorlugte.
»Der ist tot«, sagte Isabel, die sich gar nicht erst mit Flüstern aufhielt. »Guck, das Blatt auf seinem Gesicht. Der liegt hier schon ’ne Weile.«
Mein Herz hämmerte noch immer wie wild; ich musste mir in Erinnerung rufen, dass Olivia als Wölfin weißes Fell hatte. Und dass Sam jetzt ein Mensch war, für immer eingeschlossen in seinem Jungenkörper. Dieser Wolf konnte keiner der beiden sein.
Aber vielleicht Beck. Olivia und Sam waren mir am wichtigsten, aber Beck war wichtig für Sam. Und er war ein grauer Wolf.
Bitte sei nicht Beck.
Ich schluckte und kniete mich neben den Wolf. Isabel blieb stehen und raschelte mit den Füßen im Laub. Vorsichtig nahm ich das Blatt von seinem Gesicht und spürte sein raues Fell an meiner Hand, sogar durch den Handschuh. Ich beobachtete, wie die grau-schwarzweiß
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