Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
von dem Wolf. »Wie wär’s, wenn wir mal unser Hirn einschalten? Willkommen im Zeitalter der Technik, Grace.«
    Ich sah auf das Display. Das Gesicht des Wolfs, das in Wirklichkeit blutverschmiert war, sah auf dem Bild ganz normal und unverletzt aus. Wenn ich ihn nicht selbst da liegen sehen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

KAPITEL 7
SAM
    Ich hatte ungefähr eine Viertelstunde im Kenny’s gesessen und der Kellnerin dabei zugesehen, wie sie die Kunden an den anderen Tischen bediente – sie erinnerte mich an eine Biene, die emsig zwischen ein paar Blumen hin- und herflog –, als Grace von außen an die schmutzige Fensterscheibe klopfte. Vor dem leuchtend blauen Himmel zeichnete sie sich als dunkle Silhouette ab, und als sie lächelte, konnte ich den schmalen Streifen Weiß nur erahnen. Sie warf mir eine Kusshand zu und Isabel und sie gingen um die Ecke zum Eingang des Diners.
    Einen Augenblick später rutschte Grace über die schäbige rote Bank neben mich, Nase und Wangen von der Kälte gerötet, und das ewig schmierige Kunstleder quietschte unter ihrer Jeans. Sie wollte mein Gesicht zu sich heranziehen, um mir einen Kuss zu geben, doch ich zuckte zurück.
    »Was ist? Stinke ich etwa?«, fragte sie, wirkte aber nicht sonderlich betroffen darüber. Sie legte ihr Handy und die Autoschlüssel vor sich hin und griff an mir vorbei nach der Speisekarte.
    Ich lehnte mich von ihr weg und deutete auf ihre Handschuhe. »Ehrlich gesagt ja. Deine Handschuhe riechen nach Wolf. Aber nicht gut.«
    »Meine Rede. Danke, Wolfsjunge«, sagte Isabel. Als Grace ihr eine Speisekarte hinhielt, schüttelte sie energisch den Kopf und fügte hinzu: »Das ganze Auto hat nach nassem Hund gestunken.«
    Was diesen nassen Hund anging, war ich mir nicht ganz sicher. Auch ich roch den normalen moschusartigen Wolfsgeruch an Grace’ Handschuhen, aber da war noch etwas anderes – eine unangenehme Note, die meinem noch immer außergewöhnlich guten Geruchssinn zu schaffen machte.
    »Na herzlichen Dank«, seufzte Grace, »dann bringe ich sie eben ins Auto. Und hör auf, mich anzugucken, als müsstest du dich gleich übergeben. Wenn die Kellnerin kommt, bestellt mir Kaffee und irgendwas mit Speck drin, ja?«
    Während sie weg war, saßen Isabel und ich da und schwiegen uns an. Alles, was man hörte, war der Motown-Song aus den Lautsprechern über uns und das Klappern der Teller aus der Küche. Ich betrachtete den verzerrten Schatten, den der Salzstreuer auf den Behälter mit den Zuckerpäckchen warf. Isabel studierte die dicken Ärmelaufschläge ihres Pullovers auf der Tischplatte. Schließlich sagte sie: »Du hast ja schon wieder so ein Vogelding gemacht.«
    Ich nahm den Kranich, den ich während des Wartens aus meiner Serviette gefaltet hatte. Er war unförmig und schief, weil die Serviette nicht quadratisch gewesen war. »Ja.«
    »Wieso?«
    Ich rieb mir die Nase, als könnte ich so den Geruch des Wolfs loswerden. »In Japan gibt es einen Mythos, der besagt, dass man einen Wunsch frei hat, wenn man tausend Papierkraniche faltet.«
    Isabels permanent gehobene rechte Augenbraue ließ ihr Lächeln unwillkürlich grausam wirken. »Hast du denn einen?«
    »Nein«, erwiderte ich, als Grace wieder neben mir Platz nahm. »Meine Wünsche sind schon alle in Erfüllung gegangen.«
    »Was hast du dir denn gewünscht?«, fragte Grace dazwischen.
    »Dich zu küssen«, sagte ich. Sie lehnte sich zu mir herüber und bot mir ihren Hals an. Ich küsste sie genau hinters Ohr und tat so, als könnte ich nicht noch immer den süßlichen Geruch des Wolfs, fast wie Mandeln, auf ihrer Haut riechen.
    Isabels Augen wurden schmal, obwohl ihre Mundwinkel nach wie vor nach oben zeigten, und ich wusste, dass ihr meine Reaktion nicht entgangen war.
    Ich sah weg, als die Kellnerin kam und unsere Bestellung aufnahm. Grace bestellte Kaffee und ein Sandwich mit kross gebratenem Speck. Ich nahm die Tagessuppe und einen Tee. Isabel bestellte bloß Kaffee, und sobald die Kellnerin wieder weg war, holte sie eine Tüte Knuspermüsli aus ihrem Lederhandtäschchen.
    »Lebensmittelallergie?«, fragte ich.
    »Provinzallergie«, antwortete Isabel. »Fettallergie. Da wo ich herkomme, gibt es wenigstens ordentliche Bistros. Wenn man hier Panini sagt, wünschen einem alle bloß Gesundheit.«
    Grace lachte, dann nahm sie meinen Papiervogel und ließ ihn mit den Flügeln schlagen. »Irgendwann machen wir mal einen Paniniausflug nach Duluth, Isabel.

Weitere Kostenlose Bücher