Ruht das Licht
erwiderte Grace. »Ach komm, er sieht so unglücklich aus. Bin gleich wieder da.«
Und so kam sie kurz darauf mit John zurück und rutschte wieder neben mich auf die Bank. John stand am Ende des Tisches und fühlte sich sichtlich unbehaglich, als Isabel einen winzigen Augenblick zu lange wartete, bis sie auf ihrer Seite rüberrückte, um für ihn Platz zu machen.
»Wie geht’s dir denn?«, fragte Grace mitfühlend und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Da war so ein Unterton in ihrer Stimme, der mir bekannt vorkam. Mag sein, dass ich es mir einbildete, aber ich glaube eigentlich nicht. Genau so hörte sie sich nämlich an, wenn sie eine Frage stellte, auf die sie die Antwort bereits kannte, und wusste, dass sie damit zufrieden sein würde.
John sah kurz zu Isabel hinüber, die sich, wieder mal die Höflichkeit in Person, so weit wie möglich von ihm weg in die Ecke der Sitznische gelümmelt hatte, den Arm lässig auf die Fensterbank gestützt. Dann wandte er sich zu Grace und mir. »Ich hab eine E-Mail von Olivia bekommen.«
»Eine E-Mail?«, wiederholte Grace. In ihrer Stimme lag genau die richtige Mischung aus Hoffnung, Unglaube und Niedergeschlagenheit. So wie man es eben von einem Mädchen erwartete, das verzweifelt hoffte, dass ihre beste Freundin noch am Leben war. Nur dass Grace genau wusste, dass Olivia am Leben war.
Ich warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
Grace beachtete mich nicht, sondern sah weiter John an, vollkommen offen und aufrichtig. »Was hat sie denn geschrieben?«
»Dass sie in Duluth ist. Und dass sie bald nach Hause kommt!« John hob verwirrt die Hände. »Im ersten Moment wusste ich überhaupt nicht, ob ich mir vor Freude in die Hose machen oder den Computer anschreien sollte. Wie konnte sie Mom und Dad so was antun? Und dann einfach so ›Bin bald wieder da‹? Als wäre sie nur mal eben Freunde besuchen gewesen und jetzt geht’s halt wieder nach Hause. Ich meine, ich freue mich, wirklich. Aber … Mann, Grace, ich bin einfach so sauer auf sie.«
Er lehnte sich zurück und wirkte fast ein bisschen überrascht über seinen Ausbruch. Ich verschränkte die Arme. John hatte Grace’ Namen mit so viel Vertrautheit ausgesprochen, dass unerwartet ein eifersüchtiges Kribbeln in mir aufstieg. Schon seltsam, wie sehr uns die Liebe unsere Fehler vor Augen führt.
»Aber wann denn?«, bohrte Grace nach. »Wann will sie denn zurückkommen?«
John zuckte mit den Schultern. »Außer ›bald‹ hat sie nichts gesagt. Natürlich nicht.«
Grace strahlte. »Aber das heißt, sie lebt.«
»Ja«, sagte John und jetzt fiel mir auf, dass seine Augen ein wenig feucht glänzten. »Die Polizei hat gesagt, dass wir uns … na ja, nicht allzu viel Hoffnung machen sollten. Das war das Schlimmste an dem Ganzen, nicht zu wissen, ob sie am Leben ist.«
»Wo du gerade die Polizei erwähnst«, unterbrach Isabel. »Hast du ihnen die Mail gezeigt?«
Grace warf Isabel einen kurzen, nicht besonders freundlichen Blick zu, der sich aber gleich darauf in mitfühlendes Interesse zurückverwandelte, als John sich wieder ihr zuwandte.
Er wirkte betreten. »Ich hatte Angst, dass die mir sagen würden, die Mail sei nicht echt. Ich … ich hab es aber vor. Die können sie nämlich zurückverfolgen, oder?«
»Genau«, sagte Isabel und sah dabei Grace an statt John. »Ich hab mal gehört, dass die Polizei die IP-Adresse, oder wie immer das heißt, zurückverfolgen kann. Also könnten sie zumindest grob den Ort rausfinden, an dem die Mail abgesendet wurde. Wie zum Beispiel genau hier in Mercy Falls, wer weiß?«
Grace’ Stimme klang hart, als sie antwortete: »Aber wenn sie von einem Internetcafé aus geschickt worden wäre, in irgendeiner größeren Stadt wie zum Beispiel Duluth oder Minneapolis, dann würde sie das wohl nicht viel weiterbringen.«
John unterbrach sie: »Aber ich weiß auch gar nicht, ob ich will, dass sie sie gewaltsam hierher zurückzerren. Ich meine, sie ist immerhin fast achtzehn und dumm ist sie auch nicht. Klar fehlt sie mir, aber sie wird schon ihre Gründe dafür gehabt haben, dass sie abgehauen ist.«
Wir alle starrten ihn an – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, da bin ich mir relativ sicher. Ich konnte nur daran denken, wie unglaublich rücksichtsvoll und selbstlos das von John war, obwohl er natürlich ziemlich danebenlag. Isabels Starren besagte eher so was wie: Bist du eigentlich ein kompletter Idiot? In Grace’ Blick lag Bewunderung.
»Du bist wirklich ein toller
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