Ruht das Licht
durch die tanzenden Flocken rings um mich, bis mich schließlich ein Auto anhupte.
Ich winkte dem Fahrer zu und sprang mit einem Satz auf den gegenüberliegenden Bürgersteig, wo ich den Schnee von jeder Parkuhr fegte, an der ich vorbeikam. Meine Hose war gefroren und meine Schuhe waren voller Schnee, meine Finger taub und rot, doch ich war noch immer ich. Ich.
Ich spazierte um den Block, bis die Kälte den Reiz des Neuen verloren hatte, und machte mich dann auf den Rückweg zu meinem Auto. Ich sah auf die Uhr. Grace gab immer noch Nachhilfe und ich hatte keine Lust, zu ihr nach Hause zu fahren und dort ihren Eltern über den Weg zu laufen. »Verkrampft« war eine gewaltige Untertreibung, wenn man die Gespräche mit ihnen beschreiben wollte. Je offensichtlicher es wurde, dass Grace und ich es ernst miteinander meinten, desto weniger wussten sie mit mir anzufangen. Genauso wie umgekehrt. Also fuhr ich stattdessen zu Becks Haus. Es bestand zwar wenig Hoffnung, dass einer der anderen Wölfe sich schon zurückverwandelt hatte, aber ich konnte ja immerhin ein paar von meinen Büchern mitnehmen. Den Krimis, die Grace’ Bücherregale füllten, konnte ich nicht viel abgewinnen.
Also fuhr ich im grauen Licht des schwindenden Tages über den Highway, bis ich die verlassene Straße erreichte, die zu Becks Haus führte. Ich ließ den Wagen in die leere Auffahrt rollen, stieg aus und atmete tief ein. Der Wald roch anders als der hinter Grace’ Haus. Hier war die Luft erfüllt von der scharfen, wintergrünen Note der Birken und dem komplexen Duft der feuchten Erde am Seeufer. Ich erkannte auch den Geruch des Rudels, kräftig, nach Moschus.
Die Macht der Gewohnheit trieb mich zur Hintertür, der frische Schnee quietschte unter meinen Sohlen und blieb in Klumpen an meinen Hosenbeinen hängen. Im Gehen ließ ich die Fingerspitzen durch den Schnee auf den Büschen gleiten, die an der Rückwand des Hauses wuchsen. Und wieder wartete ich auf die Übelkeit, die meine Verwandlung ankündigen würde. Doch sie kam nicht.
An der Hintertür angekommen, zögerte ich und ließ meinen Blick durch den verschneiten Garten bis zum Wald dahinter schweifen. Tausend Erinnerungen füllten diese paar Quadratmeter, die sich zwischen dem Haus und dem Wald erstreckten.
Ich drehte mich wieder zur Tür und bemerkte, dass sie zwar nicht offen stand, aber auch nicht ganz zu war, sondern gerade weit genug zugezogen, dass ein Windstoß sie nicht aufdrücken würde. Mein Blick fiel auf den Türknauf und ich sah eine Spur Rot daran. Einer der anderen Wölfe, der sich sehr, sehr früh verwandelt hatte – es konnte nicht anders sein. Nur einer der neuen Wölfe konnte sich so früh verwandeln und noch nicht einmal für sie bestand große Hoffnung, dass sie Menschen bleiben würden, während draußen die Erde unter einer eisigen Schneedecke lag.
Ich drückte die Tür auf und rief: »Hallo?« In der Küche hörte ich ein Rascheln. Irgendetwas an diesem Geräusch, ein Kratzen und Scharren auf dem gefliesten Boden, ließ mich alarmiert innehalten. Ich versuchte, Worte zu finden, die auf einen Wolf beruhigend wirkten und gleichzeitig für einen Menschen nicht vollkommen bescheuert klangen. »Wer auch immer da drin ist, ich bin einer von euch.«
Ich bog vorsichtig um die Ecke in die schummrige Küche und blieb abrupt an der Kücheninsel stehen, als mir der erdige Geruch des Seewassers in die Nase stieg. Ich lehnte mich über die Arbeitsplatte, um auf den Lichtschalter zu drücken, und fragte: »Wer ist da?«
Hinter der Kücheninsel sah ich einen Fuß hervorragen – menschlich, nackt, schmutzig –, und als er zuckte, tat ich es auch, vor Schreck. Ich ging um die Kücheninsel herum und sah einen Jungen, der zusammengerollt auf der Seite lag und heftig zitterte. Sein dunkelbraunes Haar stand vor getrocknetem Schlamm in alle Richtungen ab und auf seinen Armen sah ich Dutzende kleiner Wunden, die auf einen ungeschützten Marsch durch den Wald hindeuteten. Er stank nach Wolf.
Mir war klar, dass das einer von Becks neuen Wölfen aus dem letzten Jahr sein musste. Doch beim Gedanken daran, wie Beck ihn persönlich ausgewählt haben musste, das erste neue Rudelmitglied seit so langer Zeit, überlief mich ein unangenehmer Schauer.
Er wandte mir das Gesicht zu, und obwohl er sicher Schmerzen hatte – an die Schmerzen konnte ich mich nur zu gut erinnern –, wirkte er ziemlich gefasst. Und irgendwoher kannte ich ihn. Diese scharfe Linie, die von den Wangenknochen bis
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