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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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zu seinem Kiefer hinunterlief, und diese schmalen, leuchtend grünen Augen kamen mir merkwürdig bekannt vor und schienen zu einem Namen zu gehören, der irgendwo am Rand meines Bewusstseins schwebte. In jeder anderen, normaleren Situation, dachte ich noch, wäre er mir eingefallen, doch in diesem Augenblick war er nicht mehr als ein Kitzeln irgendwo weit hinten in meinem Kopf.
    »Ich verwandle mich zurück, oder?«, fragte er und ich war verblüfft über seine Stimme. Nicht nur ihr Klang verwirrte mich – ziemlich rau und älter, als ich erwartet hatte –, sondern auch der Tonfall. Vollkommen ruhig, obwohl seine Schultern bebten und seine Fingernägel sich dunkel verfärbten.
    Ich kniete mich neben ihn und legte mir im Geiste sorgfältig meine nächsten Worte zurecht. Ich fühlte mich wie ein Kind, das in die Kleider seines Vaters geschlüpft war. In all den Jahren war es immer Beck gewesen, der den neuen Wölfen so was erklärt hatte, nicht ich. »Ja. Es ist noch zu kalt. Hör zu – wenn du dich das nächste Mal verwandelst, geh zu der Hütte im Wald –«
    »Die hab ich gesehen«, sagte er und seine Stimme war kaum mehr als ein Knurren.
    »Da gibt es einen Heizlüfter und Essen und Kleidung. Versuchs mal mit der Box, auf der ›Sam‹ steht. Oder mit der von Ulrik – irgendwas davon wird dir schon passen.« In Wahrheit war ich nicht sicher, ob das der Fall sein würde. Der Typ hatte unglaublich breite Schultern und Muskeln wie ein Gladiator. »Ist nicht so gut wie hier im Haus, aber immerhin erspart es dir das Dornengestrüpp.«
    Er wandte mir seine leuchtenden Augen zu und der hämische Ausdruck darin machte mir bewusst, dass nichts in seinem Verhalten darauf hingedeutet hatte, dass die Wunden ihm überhaupt was ausmachten. »Danke für den Tipp«, sagte er und all meine Worte schmeckten plötzlich schal.
    Beck hatte mir erzählt, die drei neuen Wölfe, die er erschaffen hatte, seien freiwillig mitgekommen – sie hatten also gewusst, was sie erwartete. Bisher hatte ich noch gar nicht darüber nachgedacht, was für Menschen sich für ein solches Leben entscheiden würden. Wer träumte davon, sich Jahr für Jahr immer mehr zu verlieren, bis irgendwann der endgültige Abschied bevorstand? In Wirklichkeit war das doch eine Art Selbstmord, und gleich als mir dieses Wort in den Kopf kam, sah ich den Typen mit völlig anderen Augen. Während sich der Körper des Neuen auf dem Boden wand – sein Gesicht war noch immer entspannt, allenfalls erwartungsvoll –, konnte ich gerade noch einen Blick auf die alten Narben an seinen Armen erhaschen, bevor sich seine Haut in die eines Wolfs verwandelte.
    Ich rannte los, um die Hintertür zu öffnen, damit der Wolf, dessen Fell in dem spärlichen Licht dunkelbraun wirkte, hinaus in den Schnee flüchten konnte, weg von der allzu menschlichen Umgebung der Küche. Doch dieser Wolf stürmte nicht zur Tür, wie andere es getan hätten. Wie ich es getan hätte als Wolf. Stattdessen trottete er mit gesenktem Kopf an mir vorbei, blieb einen Moment stehen und blickte mich mit seinen grünen Augen direkt an. Ich erwiderte seinen Blick und schließlich schlüpfte er zur Tür hinaus. Am anderen Ende des Gartens blieb er noch einmal stehen und sah skeptisch zu mir zurück.
    Das Bild dieses neuen Wolfs verfolgte mich, noch lange nachdem er weg war: die Einstichstellen in seinen Armbeugen, die Arroganz in seinem Blick, sein Gesicht, das mir so bekannt vorgekommen war.
    Ich ging zurück in die Küche, um das Blut und den Dreck aufzuwischen, und sah den Ersatzschlüssel auf den Fliesen liegen. Ich legte ihn zurück in sein Versteck an der Hintertür.
    Als ich wieder ins Haus gehen wollte, fühlte ich mich beobachtet und drehte mich um. Ich erwartete, den neuen Wolf am Waldrand zu sehen. Doch stattdessen stand dort ein großer grauer Wolf, der den Blick auf mich gerichtet hielt und mir auf gänzlich andere Weise vertraut war.
    »Beck«, flüsterte ich. Er rührte sich nicht, aber seine Schnauze zuckte. Er roch dasselbe wie ich: den neuen Wolf. »Beck, wen hast du da zu uns geholt?«

KAPITEL 9
ISABEL
    Nach dem Unterricht hatten wir noch eine Schülerratssitzung. Es war höllenlangweilig und eigentlich war es mir auch scheißegal, wie die Mercy Falls High sich denn nun zu organisieren gedachte, aber zwei Vorteile hatte das Ganze: Erstens musste ich so noch nicht nach Hause und zweitens konnte ich hier meinem Image als erhabene Herrscherin gerecht werden – still im Hintergrund, die Augen

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