Ruht das Licht
in den Flur, um ihren Mantel aufzuhängen. Irgendwas an diesem Gespräch hatte auf meiner Zunge einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen.
»Nein, hast du nicht«, stimmte Sam mir zu und seine Stimme klang ein bisschen traurig. »Sie hat bloß ein schlechtes Gewissen.« Er zog nachdenklich die Stirn kraus und ließ die Schultern hängen, als laste ein Gewicht auf ihnen, das heute Morgen noch nicht da gewesen war. Plötzlich fragte ich mich, ob er jemals daran zweifelte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – ob es das Risiko wert gewesen war. Ich wollte ihm sagen, dass ich davon überzeugt war. Ich wollte ihm sagen, dass ich es am liebsten von den Dächern geschrien hätte. In diesem Moment beschloss ich, Rachel die Wahrheit zu sagen.
»Du solltest besser dein Auto umparken«, sagte ich zu Sam. Er warf einen besorgten Blick in Richtung Decke, als könnte Mom durch den Boden ihres Heimateliers seine Gedanken lesen. Als Nächstes sah er Rachel an, dann mich und in seinen Augen lag klar und deutlich seine unausgesprochene Frage: Willst du es ihr wirklich erzählen? Ich zuckte mit den Schultern.
Rachel sah mich fragend an. Ich machte eine Geste, die Warte, ich erklär s dir gleich besagen sollte, während Sam in die Diele ging und »Schönen Abend noch, Mrs Brisbane!« die Treppe hinaufrief.
Eine Weile hörte man gar nichts. Dann erwiderte Mom in nicht besonders freundlichem Ton: »Tschüss.«
Sam kam zurück in die Küche. Das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben, auch wenn er nichts Entsprechendes sagte. Ein bisschen zögerlich wandte er sich dann an Rachel: »Falls ich noch nicht zurück bin, wenn du gehst, Rach, bis demnächst!«
»Zurück?«, wiederholte Rachel überrascht, als Sam, mit den Autoschlüsseln klimpernd, die Haustür hinter sich zuzog. »Was meint er denn mit ›zurück‹? Und was macht er mit dem Auto? Warte mal – dein Junge schläft doch nicht etwa hier, oder?«
»Pssst!«, machte ich hastig mit einem Blick in Richtung Diele. Ich nahm Rachel beim Ellbogen und schob sie in eine Ecke der Küche. Dort ließ ich sie ruckartig wieder los und betrachtete irritiert meine Finger. »Mann, Rachel, deine Haut ist ja eiskalt.«
»Nein, deine ist heiß«, berichtigte sie. »Also, was ist hier los? Schlaft ihr etwa zusammen?«
Ich fühlte, wie ich gegen meinen Willen rot wurde. »Nein, so ist das nicht. Wir …«
Rachel wartete nicht, bis ich die richtigen Worte gefunden hatte, um meinen Satz zu beenden. »Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott … Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll, Grace! Wie ist es denn dann ? Was macht ihr zwei denn bitte sonst? Nein, warte, ich will’s gar nicht wissen.«
»Pssst« ,sagte ich wieder, obwohl sie gar nicht so laut geredet hatte. »Wir schlafen einfach. Das ist alles. Ja, ich weiß, das klingt bescheuert, aber …« Ich suchte nach Worten. Es ging nicht nur darum, dass ich Sam fast verloren hatte und ihn jetzt in meiner Nähe haben wollte. Es ging auch nicht um Sex. Es war das Gefühl, mit Sam zusammen einzuschlafen, seine Brust an meinen Rücken geschmiegt, und zu spüren, wie unsere Herzen im Einklang schlugen. Es ging ums Erwachsenwerden und das Gefühl seiner Arme um mich, sein Geruch, wenn er schlief, das Geräusch seines Atems – mir war klar geworden, dass das für mich wie ein Zuhause war und alles, was ich am Ende eines Tages wollte. Es war anders, als mit ihm zusammen zu sein, wenn wir wach waren. Aber ich wusste nicht, wie ich Rachel das verständlich machen sollte. Ich fragte mich, warum ich es ihr überhaupt hatte erzählen wollen. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Schlafen ist irgendwie anders, wenn er da ist.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Rachel, die Augen weit aufgerissen.
»Rachel«, mahnte ich.
»Sorry, tut mir leid. Ich versuche hier nur gerade, die Vernunft zu bewahren; immerhin hat meine beste Freundin mir gerade eröffnet, dass sie jede Nacht mit ihrem Freund verbringt, ohne dass ihre Eltern was davon wissen. Also schleicht er sich wieder rein? Du hast den Jungen total verdorben!«
»Glaubst du, es ist falsch, was wir machen?«, fragte ich und zuckte ein wenig zusammen. Vielleicht hatte ich Sam ja wirklich verdorben.
Rachel überlegte. »Eigentlich finde ich’s einfach nur total romantisch.«
Ich stieß ein zittriges Lachen aus; ich fühlte mich ein bisschen schwindelig und erleichtert. »Rachel, ich bin so unglaublich verliebt in ihn.« Doch es klang überhaupt nicht echt, als
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