Ruht das Licht
nach Hause gekommen sein, als ich in mein Zimmer gegangen war – und lauschte eine Weile den Albereien meiner Eltern, als sie geräuschvoll die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufgingen und sich lachend dabei anrempelten. Einen Augenblick lang beneidete ich sie um ihre Freiheit, kommen und gehen zu dürfen, wie sie wollten – keine Schule, keine Eltern, keine Regeln. »Ich meine, du musst nicht hierbleiben, wenn du dich nicht wohl dabei fühlst. Wenn du nicht willst.« Ich schwieg kurz. »Das sollte sich eben nicht so klammerig anhören.«
Sam drehte sich zu mir um. In der Dunkelheit sah ich nichts als das Schimmern seiner Augen. »Ich glaube nicht, dass ich das jemals nicht mehr wollen werde. Ich will nur nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst. Du sollst mich nicht bitten müssen zu gehen. Wenn es zu kompliziert wird, meine ich.«
Ich legte meine Hand auf seine kalte Wange. Sie fühlte sich gut an unter meinen Fingern. »Für so einen klugen Jungen kannst du manchmal ganz schön dumm sein.« Ich fühlte sein Lächeln in meiner Handfläche, als er näher an mich heranrückte.
»Entweder bist du ziemlich heiß«, bemerkte Sam, »oder mir ist wirklich ziemlich kalt.«
»Nein, du hast recht, ich bin schon ziemlich heiß«, flüsterte ich. »Puh.«
Sam lachte lautlos – ein kleines, zittriges Schnaufen.
Ich streckte die Hand aus und verschränkte meine Finger mit seinen. So blieben wir liegen, die Hände in einem Knoten zwischen unsere Körper geklemmt, bis seine Finger nicht mehr so kalt waren.
»Erzähl mir von dem neuen Wolf«, sagte ich.
Sam wurde still neben mir. »Irgendwas stimmt mit dem nicht. Er hatte gar keine Angst vor mir.«
»Na so was.«
»Ich hab mich gefragt, was für ein Mensch man sein muss, um sich für ein Leben als Wolf zu entscheiden. Die müssen doch alle verrückt sein, Grace, jeder einzelne von Becks neuen Wölfen. Wer würde denn so was wollen?«
Jetzt war ich diejenige, die still wurde. Ich fragte mich, ob Sam sich daran erinnerte, wie er letztes Jahr neben mir gelegen hatte, genauso wie jetzt, und ich ihm gestanden hatte, dass ich mir wünschte, mich auch zu verwandeln, damit ich mit ihm gehen könnte. Oder nein, nicht nur damit ich mit ihm gehen könnte. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlte, einer dieser Wölfe zu sein, so einfach und mystisch und elementar. Ich dachte wieder an Olivia, die jetzt ein weißer Wolf war, wie sie mit dem Rest des Rudels durch den Wald preschte, und irgendetwas tief in meinem Inneren fühlte sich wund an. »Vielleicht mögen sie einfach Wölfe«, sagte ich schließlich. »Und ihr eigenes Leben war einfach nicht so der Hit.«
Sam lag noch immer an mich geschmiegt, doch seine Hand in meiner war schlaff geworden und ich sah, dass seine Augen geschlossen waren. Er war mit den Gedanken weit, weit weg von mir und ich konnte ihm nicht dorthin folgen. Nach einer Weile sagte er: »Ich traue ihm nicht, Grace. Ich hab einfach das Gefühl, dass diese neuen Wölfe noch Ärger machen werden. Ich … ich wünschte einfach, Beck hätte sie nicht zu uns geholt. Ich wünschte, er hätte noch gewartet.«
»Schlaf jetzt«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass er das nicht tun würde. »Mach dir keine Gedanken über das, was passieren könnte.«
Doch ich wusste, dass er auch das nicht tun würde.
KAPITEL 11
GRACE
»Na, Grace, schon wieder hier?« Die Krankenschwester sah auf, als ich in ihr Sprechzimmer kam. Die drei Stühle an der Wand gegenüber ihrem Schreibtisch waren besetzt – ein Schüler ließ den Kopf in einer Schlafhaltung nach hinten hängen, die zu bescheuert aussah, um vorgetäuscht zu sein, und die anderen beiden lasen. Mrs Sanders war bekannt dafür, dass man hin und wieder bei ihr im Büro sitzen durfte, wenn einem alles zu viel wurde. Was ja auch okay war, solange nicht jemand mit rasenden Kopfschmerzen kam, der sich einfach nur hinsetzen wollte, und das nicht ging, weil alle Stühle besetzt waren.
Mit verschränkten Armen blieb ich vor ihrem Schreibtisch stehen. Das Dröhnen in meinen Kopf war so laut, dass ich fast mitgesummt hätte. Ich rieb mir mit der Hand übers Gesicht – eine Geste, die mich ganz plötzlich und heftig an Sam denken ließ – und sagte: »Tut mir leid, dass ich Sie noch mal wegen so einer Kleinigkeit stören muss, aber mein Kopf bringt mich noch um.«
»Tja, du siehst wirklich ziemlich mitgenommen aus«, stimmte Mrs Sanders zu. Sie stand auf und deutete auf ihren Drehstuhl hinter dem Schreibtisch. »Setz dich doch hin
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