Ruht das Licht
und ich schaue mal, ob ich ein Thermometer finde. Du hast nämlich auch ganz rote Wangen.«
»Danke«, sagte ich aufatmend und setzte mich auf ihren Platz, während sie nach nebenan ging. Ein komisches Gefühl. Nicht bloß auf ihrem Platz zu sitzen, wo ich die angefangene Partie Solitär auf ihrem Computer sehen konnte und ihre Kinder mich von den Fotos auf dem Schreibtisch anstarrten, sondern überhaupt im Büro der Krankenschwester zu sein. Seit ich zur Highschool ging, war das erst das zweite Mal, dass ich hier war, und das erste war nur ein paar Tage her. Ich hatte schon ein paarmal vor der Tür auf Olivia gewartet, war aber noch nie selbst als Patientin hier drin gewesen. Ich hatte noch nie blinzelnd in das Neonlicht geblickt und mich gefragt, ob ich wohl krank war.
Als Mrs Sanders weg war, hatte ich nicht mehr das Gefühl, mich stoisch geben zu müssen; ich fasste meine Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger und versuchte, Druck gegen den Schmerz auszuüben. Er saß an derselben Stelle wie immer in letzter Zeit, ein dumpfes Wummern, das bis in meine Wangenknochen ausstrahlte. Es war genau die Art Kopfschmerz, die Schlimmeres zu verheißen schien: Ich wartete schon die ganze Zeit darauf, dass meine Nase anfing zu laufen oder dass ich Husten bekam oder endlich irgendwas passierte.
Mrs Sanders tauchte mit dem Thermometer wieder auf und ich ließ die Hand schnell sinken. »Mund auf, Schätzchen«, befahl sie mir, was ich unter anderen Umständen lustig gefunden hätte, weil mir Mrs Sanders so gar nicht der »Schätzchen« -Typ zu sein schien. »Ich hab den Verdacht, du brütest was aus.«
Ich ließ mir das Thermometer unter die Zunge stecken; seine Plastikummantelung fühlte sich scharfkantig und glitschig zugleich an. Eigentlich wollte ich noch darauf hinweisen, dass ich so gut wie nie krank wurde, aber ich konnte ja den Mund nicht aufmachen. Während die drei Minuten schleppend verstrichen, plauderte Mrs Sanders mit den beiden Schülern, die nicht schliefen, über ihren Schultag. Dann kam sie wieder zu mir und nahm mir das Thermometer aus dem Mund.
»Ich dachte, es gäbe mittlerweile diese Sekundenthermometer«, sagte ich.
»Ja, für Kleinkinder. Die glauben anscheinend, ihr Highschool-Monster müsstet genügend Geduld für die billigen hier haben.« Sie warf einen Blick auf das Thermometer. »Deine Temperatur ist ein bisschen erhöht. Minimal. Wahrscheinlich ein Virus. Davon schwirrt im Moment ’ne ganze Menge rum, kein Wunder bei dem Wetter – ein Tag warm, einer kalt. Soll ich jemanden anrufen, damit du abgeholt wirst?«
Einen Moment lang hätte ich fast der Verlockung nachgegeben, der Schule zu entfliehen und mich den restlichen Nachmittag in Sams Arme zu kuscheln. Aber er musste ja arbeiten und ich hatte noch einen Chemietest vor mir, also gestand ich mir seufzend die Wahrheit ein: Ich war einfach nicht krank genug, um nach Hause zu gehen. »So viel ist ja nicht mehr übrig vom Schultag. Außerdem schreiben wir gleich einen Test.«
Sie zog eine Grimasse. »So, so, eine Stoikerin. Das gefällt mir. Na ja, in diesem Fall zumindest. Also, ich darf das zwar eigentlich nicht, ohne deine Eltern zu fragen, aber –« Sie kam um den Schreibtisch herum und zog eine der Schubladen auf. Darin lagen etwas Kleingeld, ihr Autoschlüssel und eine Flasche Paracetamol. Sie schüttelte zwei Pillen in meine Handfläche und erklärte: »Das verpasst dem Fieber einen ordentlichen Tritt in den Hintern. Und mit deinen Kopfschmerzen wird es hoffentlich auch fertig.«
Ich bedankte mich und räumte ihren Platz. »Nichts für ungut, aber ich hoffe wirklich, dass ich Sie diese Woche nicht noch mal besuchen muss.«
»Frechheit! Dieses Sprechzimmer ist eine Stätte der Kultur und Geselligkeit«, entgegnete Mrs Sanders gespielt empört. »Gute Besserung.«
Ich schluckte die Tabletten und spülte sie mit einem Becher Wasser aus dem Spender an der Tür hinunter. Dann machte ich mich auf den Weg zurück zu meiner Klasse. Meine Kopfschmerzen waren kaum noch zu spüren, und als die letzte Stunde vorbei war, hatte das Paracetamol ihnen vollends den Rest gegeben. Wahrscheinlich hatte Mrs Sanders recht. Dieses bohrende Gefühl, dass da noch mehr war, kam sicher nur von einem Virus.
Zumindest versuchte ich mir das einzureden.
KAPITEL 12
COLE
Ich hatte das Gefühl, dass ich in diesem Moment gar kein Mensch sein sollte.
Der Schneeregen zwickte in meine bloße Haut, er war so eisig, dass er sich heiß anfühlte. Meine Fingerspitzen
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