Ruht das Licht
ich es aussprach. Es klang kitschig, wie in einem Werbespot, weil es mir einfach nicht gelang, die ganze Wahrheit und Tiefe meiner Gefühle in meine Stimme zu legen. »Schwörst du, dass du es keinem sagst?«
»Ich schweige wie ein Grab. Nichts läge mir ferner, als das Glück der jungen Liebenden zu zerstören. Du meine Güte! Ich kann’s immer noch nicht glauben, dass ihr tatsächlich junge Liebende seid. In jeglicher Hinsicht.«
Mein Herz klopfte wie wild nach diesem Geständnis, aber es war ein gutes Gefühl – ein Geheimnis weniger, das ich vor Rachel hatte. Als ein paar Minuten später ihre Mutter kam, waren wir beide total aufgekratzt. Vielleicht war es ja an der Zeit, ihr auch ein paar von den anderen Geheimnissen anzuvertrauen.
SAM
Draußen waren es minus sieben Grad. Im hellen Licht des Mondes, dieser flachen, bleichen Scheibe hinter einem Gewirr blattloser Zweige, verschränkte ich fest die Arme vor der Brust, starrte auf meine Socken hinunter und wartete darauf, dass Grace’ Mutter die Küche räumte. Leise verfluchte ich den eisigen Minnesota-Frühling, doch meine Worte verloren sich als weiße Wolken in der Dunkelheit. Es war seltsam, hier in dieser Kälte zu stehen, zu zittern, meine Finger und Zehen nicht mehr zu spüren, mit tränenden Augen, und kein Stück näher daran zu sein, mich in einen Wolf zu verwandeln, als vorher.
Durch die gekippte Verandatür hörte ich Grace’ Stimme. Sie redete mit ihrer Mutter über mich. Ihre Mutter fragte ganz unverbindlich, ob ich morgen Abend auch käme. Grace murmelte undeutlich, dass das durchaus sein könne, weil ein Freund das nun mal so mache. Ihre Mutter stellte die Bemerkung in den Raum, manche Leute könnten vielleicht den Eindruck bekommen, dass wir die Dinge überstürzten. Grace fragte ihre Mutter, ob sie noch etwas von dem Parmesanhühnchen wolle, bevor sie es in den Kühlschrank räumte. Ich hörte die Ungeduld in ihrer Stimme, doch ihrer Mutter schien das nicht aufzufallen und so schaffte sie es durch ihre bloße Anwesenheit in der Küche, mich weiterhin wie einen Gefangenen nach draußen in die Kälte zu verbannen. Nur in Jeans und meinem dünnen Beatles-T-Shirt stand ich auf den eisigen Verandabrettern und gab mich meinen Träumereien hin, Grace zu heiraten und mit ihr in meinen VW zu ziehen, ein Hippieleben ohne elterliche Einmischung. Noch nie hatte diese Vorstellung so verlockend gewirkt wie jetzt, als meine Zähne zu klappern anfingen und mir die Zehen und Ohren taub wurden.
Ich hörte Grace sagen: »Zeigst du mir, woran du arbeitest?«
Ihre Mom klang ein wenig argwöhnisch, als sie antwortete: »Wenn du willst.«
»Ich hole nur eben meinen Pulli«, sagte Grace. Sie ging zur Verandatür und entriegelte sie lautlos, mit der anderen Hand nahm sie ihren Pullover vom Küchentisch. Ich sah, wie ihre Lippen die Worte Tut mir leid formten. Dann sagte sie, etwas lauter: »Ganz schön kalt hier drinnen.«
Nachdem sie die Küche verlassen hatte, zählte ich bis zwanzig, dann ging ich rein. Inzwischen hatte ich angefangen, vor Kälte unkontrolliert zu zittern, aber ich war immer noch Sam.
Ich hatte jede Bestätigung, die ich brauchte, dass ich wirklich geheilt war, und trotzdem wartete ich weiterhin auf das böse Erwachen.
GRACE
Als ich in mein Zimmer kam, zitterte Sam immer noch so stark, dass ich meine dumpfen Kopfschmerzen komplett vergaß. Ohne Licht zu machen, schloss ich meine Zimmertür und folgte dem Klang seiner Stimme zum Bett.
»V-v-vielleicht sollten wir unseren Lebensstil noch mal überdenken«, murmelte er mit klappernden Zähnen, als ich ins Bett kroch und die Arme um ihn schlang. Meine Finger strichen über die Gänsehaut auf seinen Armen – ich konnte sie sogar durch den Stoff seines T-Shirts fühlen.
Ich zog uns beiden die Decke über den Kopf und drückte mein Gesicht an seinen eiskalten Hals. »Ich will nicht ohne dich schlafen.« Ich fühlte mich egoistisch, das laut zu sagen.
Er rollte sich zu einer Kugel zusammen – seine Füße fühlten sich selbst durch die Socken eisig an meinen nackten Beinen an – und murmelte: »Ich auch nicht. A-aber wir haben ja noch unser –« Seine Worte purzelten übereinander, er hielt inne und rieb sich mit der Hand über die Lippen, um sie aufzuwärmen, bevor er weiterredete. »Unser ganzes Leben vor uns. Um zusammen zu sein.«
»Unser ganzes Leben und das fängt genau jetzt an«, erwiderte ich. Vor meiner Tür hörte ich die Stimme meines Vaters – er musste in dem Moment
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