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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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nicht erinnern. Es war so viele Jahre her, dass mich so ein Beinahefrühling nicht in meinem Wolfskörper gefangen gehalten hatte. Nur mit Mühe schaffte ich es, mich davon zu überzeugen, dass ich nicht im Schutz des warmen Autos bleiben musste.
    Ich würde keine Angst haben. Glaub an deine Heilung.
    Ich schloss die Autotür hinter mir, doch ich ging nicht zum Haus. Womöglich war Cole noch da und ich war noch nicht bereit, ihm zu begegnen. Stattdessen lief ich um das Haus herum, über das glitschige tote Gras vom letzten Jahr, und ging in den Wald. Ich wollte zur Hütte und nachsehen, ob nicht irgendwelche Wölfe darin waren. Der kleine Schuppen, der ein paar Hundert Meter von Becks Haus versteckt im Wald stand, war ein Zufluchtsort für neue Wölfe, die sich immer wieder hin- und herverwandelten. Dort gab es Kleidung, Essenskonserven und Taschenlampen und sogar einen kleinen Fernseher mit DVD-Player und einen Heizlüfter, beides von einer Bootsbatterie betrieben – alles, was ein neuer instabiler Wolf sich nur wünschen konnte, während er abwartete, ob er ein Mensch blieb.
    Manchmal kam es jedoch vor, dass sich ein neues Rudelmitglied so plötzlich in einen Wolf zurückverwandelte, dass ihm keine Zeit blieb, vorher die Tür zu öffnen. Dann war das wilde, seinen Instinkten völlig unterworfene Tier eingeschlossen an einem Ort, der nach Mensch, Verwandlung und Unsicherheit stank.
    Ich erinnerte mich an den Frühling, als ich neun war und meine Wolfshaut noch ziemlich unverlässlich. Damals hatte der warme Tag mir meinen Pelz entrissen und mich nackt und schutzlos, eingerollt wie ein blasser, junger Pflanzentrieb, auf dem Waldboden zurückgelassen. Als ich sicher war, dass ich allein war, machte ich mich auf den Weg zur Hütte, so wie Beck es mir gesagt hatte. Ich hatte Bauchschmerzen, wie immer damals zwischen den Verwandlungen. Sie waren so schlimm, dass ich vornübergebeugt gehen musste. Meine hervorstehenden Rippen drückten in meine Oberschenkel, als ich mich zusammenkrümmte. Ich biss mir auf den Finger, bis der Krampf nachließ und ich mich wieder aufrichten und die Tür des Schuppens öffnen konnte.
    Ich zuckte zusammen wie ein Fohlen, als mir durch die Tür eine Stimme entgegenschlug. Nach einer Weile hatte sich mein Herzschlag wieder so weit beruhigt, dass ich erkennen konnte, dass die Stimme sang. Wer immer als Letzter hier gewesen war, hatte den Gettoblaster angelassen. Elvis erkundigte sich, ob ich heute Nacht einsam sei, während ich die Kiste mit der Aufschrift »Sam« durchwühlte. Ich schlüpfte in eine Jeans und machte mir gar nicht erst die Mühe, nach einem Pullover zu suchen, sondern wandte mich direkt der Kiste mit dem Essen zu. Ich riss eine Tüte Chips auf und mein Magen begann erst zu knurren, als er sicher war, dass er endlich gefüllt werden würde. So saß ich dann auf der Kiste, die knochigen Knie bis unters Kinn gezogen, lauschte dem Säuseln von Elvis und sann darüber nach, dass Songtexte eigentlich nichts anderes als Gedichte waren. Im Sommer zuvor hatte Ulrik mich berühmte Gedichte auswendig lernen lassen – ich konnte noch ohne Probleme die erste Hälfte von Rast am Wald an einem verschneiten Abend aufsagen. Ich versuchte, mich auch an die zweite Hälfte zu erinnern, und verdrückte dabei die gesamte Tüte Maischips in der Hoffnung, dass davon meine Bauchschmerzen weggehen würden.
    Als ich bemerkte, dass die Hand, mit der ich die Chipstüte hielt, zitterte, war der Schmerz in meinem Rumpf schon in das Zerren und Bersten der Verwandlung übergegangen. Mir blieb keine Zeit, die Tür zu erreichen, bevor meine Hände zu Pfoten schrumpften und unbrauchbar wurden. Meine Fingernägel kratzten wirkungslos über das Holz. Mein letzter menschlicher Gedanke war eine Erinnerung: meine Eltern, die meine Zimmertür zuschlugen, das Klicken des Schlosses, während der Wolf aus mir hervorbrach.
    An meine Gedanken als Wolf konnte ich mich nur selten erinnern, doch dies war mir im Gedächtnis geblieben: Erst nach Stunden hatte ich an diesem Tag meine Versuche aufgegeben, aus dem Schuppen herauszukommen.
    Ulrik hatte mich schließlich gefunden.
    »Ach, Junge«, sagte er mit trauriger Stimme und fuhr sich mit der Hand über den kahl rasierten Schädel, während er sich umsah. Ich starrte ihn bloß an, irgendwie überrascht, nicht meine Mutter oder meinen Vater zu sehen. »Wie lange bist du denn schon hier drin?«
    Ich lag zusammengekauert in einer Ecke des Schuppens und betrachtete meine blutigen

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