Ruht das Licht
Der Staub auf dem vermackten Holzfußboden dämpfte das Geräusch meiner Schritte. Soweit ich sehen konnte, war alles an seinem Platz – die Decken ordentlich gefaltet neben dem ausgeschalteten Fernseher, der Wasserspender bis obenhin gefüllt und dahinter die Becher, die in Reih und Glied für ihren nächsten Einsatz bereitstanden. Alles wartete darauf, dass die Wölfe wieder zu Menschen wurden.
Cole folgte mir hinein und sah sich kurz zwischen den Kisten und Vorräten um. Alles an ihm strahlte Verachtung und mühsam bezwungene Unruhe aus. Was hat Beck bloß in dir gesehen?, hätte ich ihn am liebsten gefragt. Stattdessen fragte ich: »Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?«
Cole hatte eine der Kisten einen Spaltbreit geöffnet und spähte hinein. Er sah nicht auf, als er antwortete: »Was?«
»Ein Wolf zu sein.«
»Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt«, erwiderte er und jetzt sah er mich an, ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen, als wüsste er, was ich durchgemacht hatte, um kein Wolf mehr sein zu müssen. »Beck hat gesagt, die Schmerzen wären unerträglich.«
Ich hob ein trockenes Blatt vom Boden auf, das wir wohl mit in den Schuppen gebracht hatten. »Na ja, die Schmerzen sind ja auch nicht das Problem.«
»Ach, nein?« Coles Stimme klang herausfordernd. So, als wollte er, dass ich ihn hasste. »Was ist denn dann das Problem?«
Ich drehte mich von ihm weg. Darauf wollte ich ihm keine Antwort geben. Weil ich nicht glaubte, dass er meine Probleme verstehen würde.
Aber Beck hatte ihn ausgesucht. Ich würde ihn nicht hassen. Nein. Irgendetwas musste Beck in ihm gesehen haben. Nach einer Weile sagte ich: »Vor ein paar Jahren hatte einer von den Wölfen, Ulrik, die Idee, dass es toll wäre, Küchenkräuter in Blumentöpfen zu züchten. Ulrik hat immer solche bescheuerten Sachen gemacht.« Ich sah ihn vor mir, wie er Löcher in die Blumenerde stach und die Samen hineinfallen ließ, winzige, vertrocknet aussehende Dinger, die in der tiefschwarzen Erde verschwanden. »Wehe, dieser Mist wächst nicht!«, scherzte er. Ich stand die ganze Zeit neben ihm und sah zu. Nur wenn er mich zufällig mit dem Ellbogen anstieß, ging ich zur Seite. »Meinst du, du kannst vielleicht noch ein bisschen näher kommen, Sam?«, fragte er. An Cole gewandt, fügte ich nun hinzu: »Beck hat Ulrik für verrückt erklärt. Er hat zu ihm gesagt, Basilikum würde er auch für ein paar Cent im Supermarkt kriegen.«
Cole hob eine Augenbraue und sah mich an, als wollte er mich darauf hinweisen, dass er mir einen Wahnsinnsgefallen tat, indem er mir überhaupt zuhörte.
Ich ignorierte seinen Blick und erzählte weiter: »Ich habe Ulriks Samen wochenlang beobachtet und Tag für Tag nach jedem noch so kleinen Fitzel von Grün in dem Dreck Ausschau gehalten – irgendetwas, was mir zeigen würde, dass dort tatsächlich Leben drinsteckte, das nur darauf wartete zu keimen. Das ist alles. Das ist das Problem«, erklärte ich Cole. »Ich stehe hier im Schuppen und warte darauf, dass irgendwo in diesem ganzen Dreck etwas Gutes keimt. Ich hab keine Ahnung, ob es einfach noch zu früh ist, um nach Lebenszeichen zu suchen, oder ob der Winter mir meine Familie diesmal endgültig genommen hat.«
Cole starrte mich an. Die Verachtung war aus seinem Gesicht gewichen, aber er sagte nichts. In seinem Blick lag etwas Leeres und ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Also sagte ich auch nichts.
Es hatte keinen Sinn, noch länger hierzubleiben. Während Cole reglos dastand, sah ich noch schnell in die Vorratskisten, um mich zu vergewissern, dass kein Ungeziefer hineingelangt war. Eine ganze Weile hockte ich einfach da, die Hände auf den Rand einer der Kisten gestützt, und lauschte. Worauf, wusste ich nicht – alles, was ich hörte, war Stille, Stille und noch mehr Stille. Sogar der Kardinal draußen vor der offenen Tür hatte aufgehört zu singen.
Ich tat so, als wäre Cole nicht da, und spitzte die Ohren, wie ich es als Wolf getan hätte, um einen Plan aller Lebewesen in meiner Nähe und ihrer Geräusche zu erstellen. Doch ich hörte nichts.
Irgendwo in diesem Wald waren die Wölfe, doch für mich waren sie unsichtbar.
KAPITEL 20
COLE
Mein menschlicher Körper entglitt mir und darüber war ich froh.
Ich fühlte mich unwohl in Sams Gegenwart. Ich konnte je nach Belieben verschiedene Persönlichkeiten annehmen und normalerweise war für jeden, den ich kennenlernte, eine dabei, aber keine davon schien die richtige für
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