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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Sam zu sein. Er war so irritierend ernsthaft, dass es wehtat – ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.
    Also war ich ziemlich erleichtert, als wir aus dem Schuppen kamen und er verkündete, dass er wegfahren würde.
    »Ich würde ja fragen, ob du mitkommen willst«, sagte Sam, »aber du wirst dich bald wieder verwandeln.«
    Er erklärte nicht, wie er zu diesem Schluss kam, aber seine Nasenlöcher zuckten, als könnte er es an mir riechen. Kurz darauf dröhnte der Dieselmotor seines Volkswagens auf, als er aus der Einfahrt fuhr und mich allein in einem Haus zurückließ, dessen Stimmung sich mit den Tageszeiten änderte. Der Nachmittag war bewölkt und kalt und plötzlich war das Haus keine behagliche Höhle mehr, sondern ein bedrohliches Labyrinth grauer Räume wie aus einem Fieberalbtraum. Ähnlich war es mit meinem Körper, der nicht mehr ganz menschlich war, aber auch nicht der eines Wolfs, sondern ein seltsames Zwischending aus Menschenkörper und Wolfshirn. Menschliche Erinnerungen, durch die Augen eines Wolfs betrachtet. Zuerst wanderte ich ziellos durch die Flure – die Wände schienen auf mich zuzurücken. Ich wollte Sams Diagnose noch nicht so recht glauben. Als ich schließlich spürte, wie eine erste Vorahnung der Verwandlung sich in meine Nervenbahnen schlich, stellte ich mich an die offene Hintertür und wartete darauf, dass die Kälte mich holte. Aber so weit war es noch nicht. Also schloss ich die Tür wieder, legte mich auf das Bett, das vorläufig meins war, und gab mich der nagenden Übelkeit und dem Kribbeln unter meiner Haut hin.
    Trotz meines Unwohlseins war ich irgendwie erleichtert.
    Ich hatte fast schon geglaubt, dass ich mich nicht mehr in einen Wolf zurückverwandeln würde.
    Aber dieses elende Dazwischenhängen – ich stand wieder auf, ging zurück zur Tür und stellte mich in den eisigen Wind. Nach ungefähr zehn Minuten gab ich auf, zog mich aufs Sofa zurück und krümmte mich über dem Aufruhr in meinem Magen zusammen. Mein Geist preschte durch die grauen Flure, aber mein Körper lag still. Im Kopf wanderte ich den Flur hinunter, durch eine Reihe unbekannter Zimmer in Schwarz-Weiß-Tönen. Ich fühlte Isabels Schlüsselbein unter meiner Hand, sah zu, wie meine Haut ihre Farbe verlor, während ich zum Wolf wurde, hörte die Stimme meines Vaters, sah ihn mir gegenüber am Esstisch sitzen.
    Nein. Alles, nur nicht nach Hause. Meinetwegen konnten meine Erinnerungen mich hintragen, wo sie wollten, aber nicht dorthin.
     
    Jetzt war ich mit NARKOTIKA im Fotostudio. Es war unsere erste große Story in einer Zeitschrift. Oder meine, wenn man ehrlich ist. Das Thema lautete »Erfolg unter achtzehn« und ich war das Paradebeispiel . Der Rest von NARKOTIKA spielte bloß die Nebenrollen.
    Wir wurden nicht im Studio selbst fotografiert; stattdessen hatten der Fotograf und seine Assistentin uns ins Treppenhaus des alten Gebäudes geschleppt und versuchten dort, die Stimmung unserer Musik einzufangen, indem sie uns auf unterschiedliche Treppenstufen stellten und effektvoll über das Geländer drapierten. Im Treppenhaus roch es nach dem Mittagessen anderer Leute, nach Essen, das man selbst nie bestellen würde, billigem Käse, Fett und irgendeinem mysteriösen Gewürz. Vielleicht waren es auch einfach ungewaschene Füße.
    Mein High ließ gerade nach. Es war nicht mein erstes, aber fast. Diese neuen Trips versetzten mich in eine prickelnde, rasende Euphorie und hinterher hatte ich immer noch kurz ein schlechtes Gewissen. Ich hatte gerade einen meiner besten Songs überhaupt geschrieben – Break My Face (and Sell the Pieces), der zu meiner bestverkauften Single werden sollte – und war wahnsinnig gut drauf. Noch besser wäre ich allerdings drauf gewesen, wenn ich nicht in diesem Treppenhaus hätte sein müssen; ich wollte draußen sein und die Luft dort riechen, voller Abgase und Restaurantausdünstungen und all den aufregenden Stadtgerüchen, die mir sagten, dass ich jemand war.
    »Cole. Cole. Hey, Mann. Tust du mir den Gefallen und hältst mal still? Stell dich doch mal einen Moment neben Jeremy und guck zu mir runter. Und du, Jeremy, guckst ihn an«, kommandierte der Fotograf. Er war im mittleren Alter, mit einem Bierbauch und einem unregelmäßigen Kinnbart, über den ich mich noch den ganzen restlichen Tag aufregen würde. Seine Assistentin war Mitte zwanzig, rothaarig und hatte mir bereits ihre Liebe gestanden, woraufhin ich sofort das Interesse an ihr verloren hatte. Mit siebzehn

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