Ruht das Licht
bin jetzt zu Hause.«
»Kann ich kommen?« Irgendwie klang Sams Stimme komisch.
Ich zog die Bettdecke höher, schüttelte sie, als sie sich nicht so glatt hinlegte, wie ich wollte, und versuchte, nicht wieder so wütend zu werden wie vorhin bei meinem Gespräch mit Dad. »Ich hab Hausarrest. Ich darf auch am Sonntag nicht mit ins Studio.« Totenstille am anderen Ende; ich konnte mir Sams Gesicht genau vorstellen und das tat weh. Es war dieser taube Schmerz, der sich immer dann einstellt, wenn man schon zu lange traurig ist, um die Traurigkeit noch mit aller Kraft aufrechtzuerhalten. »Bist du noch da?«
Sam klang tapfer, was sogar noch schlimmer war als sein Schweigen. »Ich mach einfach einen neuen Termin aus.«
»Auf keinen Fall«, rief ich. Und plötzlich brach die Wut sich Bahn. Ich versuchte, trotzdem weiterzureden. »Ich komme am Sonntag mit, ist mir egal, ob ich sie auf Knien anflehen muss. Ist mir auch egal, ob ich mich rausschleichen muss. Sam, ich bin so wütend, ich weiß nicht, was ich machen soll. Am liebsten würde ich abhauen. Ich will nicht mehr mit ihnen in einem Haus sein. Im Ernst, rede es mir aus. Sag mir, dass ich nicht zu dir kommen und bei dir wohnen kann. Sag mir, dass du mich nicht bei dir haben willst.«
»Du weißt, dass ich das nie sagen würde«, entgegnete Sam sanft. »Du weißt, ich würde dich nicht aufhalten.«
Ich starrte auf die geschlossene Zimmertür. Meine Mutter – meine Gefängniswärterin – war irgendwo auf der anderen Seite. Noch immer spürte ich fiebrige Übelkeit im Magen; ich wollte nicht hier sein. »Warum mach ich’s dann nicht einfach?« Meine Stimme klang aggressiv.
Sam schwieg eine Weile. Schließlich antwortete er leise: »Weil du nicht willst, dass es so endet. Du weißt, ich fände es wunderbar, wenn du bei mir wärst, und irgendwann wird das auch so sein. Aber so wäre es einfach nicht richtig.«
Mir traten die Tränen in die Augen. Völlig überrumpelt rieb ich sie mit der Faust weg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Normalerweise war doch ich die Pragmatische und Sam der Emotionale von uns beiden. Ich fühlte mich allein mit meinem Zorn.
»Ich hatte Angst um dich«, sagte Sam.
Ich hatte auch Angst um mich, dachte ich. Aber stattdessen sagte ich: »Mir geht’s gut. Ich kann es gar nicht erwarten, hier wegzukommen, mit dir. Ich wünschte, es wäre schon Sonntag.«
SAM
Es war seltsam, Grace so zu hören. Es war seltsam, hier mit ihrer besten Freundin im Auto zu sitzen, während Grace zu Hause war und mich einmal wirklich brauchte. Es war seltsam, ihr sagen zu wollen, dass wir das mit dem Studio auch verschieben konnten, bis sich alles beruhigt hatte. Aber ich konnte auch nicht Nein sagen. Dazu war ich einfach nicht in der Lage. Sie so zu hören … so hatte ich sie noch nie erlebt und ich spürte, wie mir eine gefährliche, wunderschöne Zukunft ihre Geheimnisse ins Ohr flüsterte. Ich antwortete: »Ich wünschte auch, es wäre schon Sonntag.«
»Ich will nicht allein sein heute Nacht«, flüsterte Grace.
Mein Herz zog sich zusammen. Einen Moment lang schloss ich die Augen und öffnete sie dann wieder. Ich dachte daran, mich zu ihr zu schleichen; ich dachte daran, ihr zu sagen, sie solle zu mir kommen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, in meinem Zimmer unter den Papierkranichen zu liegen, ihr warmer Körper an meinem, ohne mir Sorgen zu machen, dass ich mich morgens würde verstecken müssen. Sie einfach bei mir zu haben, nach unseren eigenen Regeln. Mein Herz krampfte sich zusammen, so sehr wünschte ich mir das. »Du fehlst mir auch«, antwortete ich.
»Dein Handyladekabel ist hier«, sagte Grace. »Ruf mich heute Abend noch mal vom Festnetz an, ja?«
»Okay.«
Nachdem Grace aufgelegt hatte, gab ich Rachel ihr Handy wieder. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Es waren doch nur achtundvierzig Stunden, bis ich sie wiedersehen würde. Das war doch nicht viel. Ein winziger Tropfen in dem Meer von Zeit, das unser gemeinsames Leben war.
Vor uns lag jetzt die Ewigkeit. Ich musste endlich anfangen, daran zu glauben.
»Sam?«, fragte Rachel. »Weißt du eigentlich, dass du das traurigste traurige Gesicht hast, das ich je gesehen hab?«
KAPITEL 19
SAM
Nachdem Rachel und ich wieder unserer Wege gegangen waren, fuhr ich zurück zu Becks Haus. Die Sonne hatte angefangen zu scheinen; in ihren Strahlen lag noch nicht viel Kraft, aber doch ein Versprechen von Wärme – bald würde wieder Sommer sein. An ein solches Wetter konnte ich mich gar
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