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Ruht das Licht

Ruht das Licht

Titel: Ruht das Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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hätte er sich wahrscheinlich einfach umgedreht und wäre zurück zum Hotel gefahren.
    Ich wartete einen Moment und sagte dann: »Wenigstens kennen die Mädchen meinen Namen, Alter.« Mit einem sarkastischen Grinsen im Gesicht sah ich ihn an. »Wenigstens bin ich nicht immer bloß ›der Drummer von NARKOTIKA‹.«
    Victor schlug zu. Ein gepflegter Fausthieb, aber nicht mit voller Kraft. Zumindest stand ich noch, auch wenn es sich so anfühlte, als hätte er mir die Lippe aufgeschlagen. Ich hatte noch Gefühl im Gesicht und wusste auch noch, worüber wir geredet hatten. Ich sah ihn bloß an.
    Jeremy erschien an Victors Seite; wahrscheinlich hatte ihm das Geräusch von Victors Faust, die auf mein Gesicht prallte, verraten, dass das keiner unserer normalen Streite war.
    »Steh nicht nur da rum!«, schrie mich Victor an und schlug wieder zu, direkt aufs Kinn. Diesmal strauchelte ich und konnte mich nur mit Mühe fangen, um nicht hinzufallen. »Schlag zurück, du Arschloch! Schlag zurück!«
    »Jungs«, murmelte Jeremy, bewegte sich aber kein Stück.
    Victor rammte mir seine Schulter in die Brust, neunzig Kilo unterdrückter Wut, und jetzt stürzte ich zu Boden und schürfte mir auf dem Asphalt den Rücken auf. »Du bist so ein Totalversager. Für dich ist das Leben ein einziger Egotrip, du verwöhnter Hurensohn!« Jetzt fing er an, mich zu treten, und Jeremy sah mit verschränkten Armen zu.
    »Das reicht«, sagte er.
    »Ich – trete – dir – das – Grinsen – aus – dem – Gesicht«, zischte Victor zwischen den Fußtritten. Mittlerweile war er außer Atem und schließlich geriet er während des Tretens aus dem Gleichgewicht und krachte neben mir zu Boden.
    Ich starrte hoch zu dem Rechteck grauweißen Himmels über uns, eingerahmt durch die dunklen Gebäude, und fühlte, wie mir ein Blutrinnsal aus der Nase lief. Ich dachte an Angie zu Hause und an ihren Blick, als sie mir gesagt hatte, sie würde das lieber allein durchziehen, und ich wünschte mir, sie hätte zusehen können, wie Victor mich zusammentrat.
    Über mir zückte Jeremy sein Handy und machte ein Foto von uns beiden, wie wir in irgendeiner Stadt, an deren Namen ich mich noch nicht mal erinnerte, auf dem Boden lagen.
    Drei Wochen später landete das Foto, auf dem ich mich die Treppe hinunterstürzte, während Jeremy und Victor mir dabei zusahen, an allen Zeitschriftenständen. Ich hatte es auf die Titelseite geschafft. Mein Gesicht war überall. So schnell würde mich niemand vergessen. Ich war überall.
     
    Später am Nachmittag lag ich auf dem Boden in Becks Haus und die Verwandlung kündete sich immer hartnäckiger in mir an, so eindringlich, dass mir klar wurde, dass meine vorherige Übelkeit nur eingebildet gewesen war, nicht zu vergleichen mit dem echten Gefühl, das nun an meinem Inneren kratzte und riss und zerrte. Ich schleppte mich wieder zur Hintertür und öffnete sie, blieb darin stehen und sah hinaus auf den Rasen. Draußen war es überraschend warm, der Himmel war nicht mehr bedeckt, aber hin und wieder erinnerte ein schneidender Windstoß daran, dass es noch März war. Dieses Mal, als mich eine kalte Bö erwischte, fuhr sie direkt durch meine menschliche Hülle bis zu dem Wolf darunter. Ich bekam Gänsehaut am ganzen Körper. Zögernd trat ich hinaus auf den betonierten Treppenabsatz und überlegte, ob ich zur Hütte gehen und meine Kleider dort lassen sollte, um sie nachher leichter wiederzubekommen. Aber schon beim nächsten Windstoß krümmte ich mich schaudernd zusammen. Ich würde es nicht mehr bis zur Hütte schaffen.
    Mein Magen ächzte und zwickte. Ich kauerte mich hin und wartete.
    Doch die Verwandlung kam nicht sofort, wie sie es früher getan hatte. Ich war fast einen ganzen Tag lang ein Mensch gewesen; mein Körper war nun stärker in dieser Form verankert und schien sie nicht freiwillig aufgeben zu wollen.
    Mach schon, verwandle dich, dachte ich, als der Wind mir einen weiteren Schauder abjagte. Mir verdrehte sich der Magen. Ich bemühte mich, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass das nur die Reaktion auf die Verwandlung war; eigentlich musste ich mich gar nicht übergeben. Wenn ich es nur schaffte, dem Drang zu widerstehen, war alles in Ordnung.
    Ich stemmte die Hände gegen den kalten Beton und versuchte, den Wind mit purer Willenskraft dazu zu zwingen, mich zum Wolf zu machen. Aus heiterem Himmel fiel mir plötzlich Angies Telefonnummer ein und ich verspürte den irrationalen Wunsch, ins Haus zu gehen und sie anzurufen,

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