Ruht das Licht
hatte ich noch nicht die Entdeckung gemacht, dass ein süffisantes Lächeln von mir die Mädchen dazu brachte, ihre Tops auszuziehen.
»Mach ich doch die ganze Zeit«, murmelte Jeremy. Er klang verschlafen. Wie immer eigentlich. Victor, der an Jeremys anderer Seite stand, lächelte folgsam den Boden an, wie es ihm der Fotograf befohlen hatte.
Ich hatte so meine Zweifel, was diese Fotosession anging. Wie sollte denn ein Bild von uns, auf dem wir über irgendeine Balustrade guckten wie bei einem verdammten Beatles-Album, den Sound von NARKOTIKA verkörpern? Ich schüttelte den Kopf und spuckte über das Geländer und in dem Moment ging der Blitz los. Der Fotograf und seine Assistentin starrten aufs Kameradisplay und wirkten genervt. Noch ein Blitz. Noch ein genervter Blick. Der Fotograf stellte sich an den Treppenabsatz, sechs Stufen unter uns. Jetzt versuchte er es auf die schleimerische Tour. »Okay, Cole, bringen wir mal ein bisschen Leben in die Sache, ja? Du weißt schon, ein nettes Lächeln. Denk an deine schönste Erinnerung. Lächle mich an, als wäre ich deine Mom.«
Ich zog eine Augenbraue hoch und fragte mich, ob er das wirklich ernst meinte.
Der Fotograf allerdings schien eine zündende Idee zu haben, denn plötzlich rief er: »Stell dir vor, du stehst auf der Bühne –«
»Du willst Leben?«, fragte ich. »Also, das hier ist es jedenfalls nicht. Im Leben geht’s um das Unerwartete, ums Risiko. Und genau das ist NARKOTIKA, nicht wie auf so ’nem verschissenen Pfadfinderfoto. So–«
Und ich sprang. Mit ausgebreiteten Armen flog ich auf ihn zu; ich sah die Panik in seinem Gesicht, während seine Assistentin ihre Kamera hochriss und der Blitz mich blendete.
Ich landete unsanft auf einem Fuß, krachte gegen die backsteinerne Treppenhauswand und lachte mich halb tot. Niemand fragte mich, ob ich mir wehgetan hatte. Jeremy gähnte, Victor zeigte mir den Stinkefinger und der Fotograf und die Assistentin starrten auf das Display und stießen begeisterte Ausrufe aus.
»Bitte schön, ein bisschen Inspiration«, sagte ich zu ihnen und stand auf. »Gern geschehen.« Ich spürte den Schmerz noch nicht mal.
Während der restlichen Fotosession ließen sie mich machen, was ich wollte. Ich summte und sang meinen neuen Song, schickte sie die Treppe rauf und runter und presste die Hände gegen die Wand, als wollte ich sie einreißen. Dann ging es runter in die Empfangshalle, wo ich mich in eine Topfpflanze stellte, und schließlich in die Gasse hinter dem Studio, wo ich auf das Auto sprang, mit dem wir vom Hotel hergekommen waren, und Dellen im Dach hinterließ, damit es sich auch an mich erinnerte.
Als der Fotograf schließlich meinte, wir könnten Feierabend machen, kam seine Assistentin zu mir und sagte, ich solle die Hand ausstrecken. Ich tat es und sie drehte sie um, sodass die Handfläche zum Himmel zeigte, und schrieb ihren Namen und ihre Telefonnummer darauf, während Victor hinter ihr stand und zusah.
Sobald sie wieder reingegangen war, packte mich Victor an der Schulter. »Was ist mit Angie?«, wollte er wissen. Auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, als ginge er davon aus, dass meine Antwort ihn zufriedenstellen würde.
»Was soll mit ihr sein?«, erwiderte ich.
Das Lächeln verschwand und er grabschte nach meiner Hand mit der Telefonnummer. »Ich glaube nicht, dass sie das hier so toll fände.«
»Vic. Alter. Das geht dich nichts an.«
»Sie ist meine Schwester. Und ob mich das was angeht.«
Diese Unterhaltung war definitiv Gift für meine gute Laune. »Tja, dann hör mir mal genau zu: Zwischen Angie und mir ist Schluss. Seit Ewigkeiten. Wir stehen schon in den Geschichtsbüchern, Mann. Und es geht dich immer noch nichts an.«
»Du Drecksau«, fluchte Victor. »Du lässt sie damit im Stich? Erst ruinierst du ihr Leben und dann haust du einfach ab?«
Jetzt war meine Laune endgültig im Keller. Langsam hatte ich das Gefühl, es war wieder Zeit für einen Schuss oder ein Bier – oder eine Rasierklinge. »Hey, ich hab sie doch gefragt. Und sie hat gesagt, sie zieht das allein durch.«
»Und das glaubst du ihr? Echt, du hältst dich für dermaßen toll. Du bist ja so ein verdammtes Genie. Meinst du etwa, dein Leben geht jetzt für immer so weiter? Niemand wird sich noch an dein Gesicht erinnern, wenn du zwanzig bist. Niemand wird sich an dich erinnern.«
Aber er war schon fast fertig. Er hatte genug Dampf abgelassen. Wenn ich mich entschuldigt hätte oder auch nur die Klappe gehalten,
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