Ruht das Licht
nur um sie Hallo sagen zu hören, bevor ich wieder auflegte. Ich fragte mich, was Victor wohl gerade dachte, jetzt, nach allem, was passiert war.
Meine Brust schmerzte.
Hol mich aus diesem Körper raus. Hol mich raus aus Cole, dachte ich.
Aber das war nur eins der vielen Dinge, über die ich keine Kontrolle mehr hatte.
KAPITEL 21
GRACE
In dieser Nacht war mein Bett nicht anders als sonst, nur dass Sam fehlte. Die Matratze fühlte sich genauso an wie immer. Unter der Decke war nicht mehr Platz ohne ihn. Ich war nicht weniger müde ohne das regelmäßige Geräusch seines Atems neben mir. Das Kissen roch noch immer nach ihm, so als wäre er nur kurz aufgestanden, um sein Buch zu holen, und hätte vergessen wiederzukommen.
Und doch war alles so anders, wie es nur sein konnte.
Mein Bauch tat weh, ein schwaches Echo der Schmerzen von gestern Nacht. Ich drückte das Gesicht ins Kissen und versuchte, nicht an die Nächte zu denken, als ich glaubte, ihn für immer verloren zu haben. Ich stellte mir vor, wie er jetzt in Becks Haus saß, rollte mich auf die Seite und nahm mein Handy. Aber ich wählte nicht seine Nummer.
Alles, woran ich denken konnte, war, wie wir hier zusammen gelegen hatte. Sam hatte vor Kälte gezittert und gesagt: Vielleicht sollten wir unseren Lebensstil noch mal überdenken. Dann fiel mir ein, wie er gemeint hatte, ich solle besser hierbleiben und nicht zu ihm ziehen.
Vielleicht war er ja ganz froh, dass ich nicht bei ihm war, dass er eine Entschuldigung hatte, allein zu sein. Vielleicht aber auch nicht. Ich wusste es nicht. Ich fühlte mich krank, krank, krank, auf eine schreckliche und mir völlig neue Art und Weise, die ich nicht beschreiben konnte. Ich wollte weinen und kam mir deswegen blöd vor.
Ich legte das Handy auf den Nachttisch und rollte mich zurück auf Sams Kissen, wo ich schließlich einschlief.
SAM
Ich war eine offene Wunde.
Rastlos tigerte ich durch die Flure. Ich wollte sie anrufen, aber ich hatte Angst, sie in Schwierigkeiten zu bringen, Angst vor etwas Gewaltigem, Namenlosem. Ich lief auf und ab, bis ich mich vor Müdigkeit nicht mehr auf den Beinen halten konnte, und ging schließlich nach oben in mein Zimmer. Ohne Licht zu machen, legte ich mich ins Bett, den Arm quer über die Matratze ausgestreckt. Meine Hand schmerzte, weil ich Grace nicht darunter fühlte.
Gedanken schwärten in meinem Kopf. Ich konnte nicht schlafen. Mein Bewusstsein entglitt der Realität des leeren Bettes neben mir und formte meine Gedanken zu Versen. Unter meinen Fingern fühlte ich die Saiten, die sie anschlagen würden, um die Melodie zu finden.
I’m an equation that only she solves / these Xs and Ys by other names called / My way of dividing is desperately flawed / as I multiply days without her.
Die scheinbar endlose Nacht kroch langsam dahin, unzählbar reihten sich die Minuten aneinander, ohne irgendwohin zu führen. Die Wölfe fingen an zu heulen und in meinem Kopf hämmerte es. Ein dumpfer, schwerfälliger Schmerz, den mir die Meningitis hinterlassen hatte. Ich lag in dem leeren Haus und lauschte, wie der schleppende Gesang des Rudels mit dem Druck in meinem Schädel anschwoll und wieder verebbte.
Ich hatte alles riskiert und mir war nichts geblieben als meine leere Hand, die offen und zur Decke gewandt an meiner Seite lag.
KAPITEL 22
GRACE
»Ich geh ein bisschen spazieren«, sagte ich zu meiner Mutter. Noch nie war ein Tag so langsam vorbeigegangen wie dieser Samstag. Früher, als ich jünger war, hätte ich alles dafür gegeben, einen ganzen Tag mit meiner Mutter zu Hause zu verbringen. Jetzt aber war ich angespannt, so als hätte ich einen Gast im Haus. Sie hielt mich eigentlich von nichts ab, aber mir war einfach nicht danach, irgendetwas anzufangen, solange sie in der Nähe war.
Im Moment lümmelte Mom elegant in der Sofaecke und las in einem der Bücher, die Sam hiergelassen hatte. Als sie meine Stimme hörte, fuhr ihr Kopf zu mir herum und ihr ganzer Körper versteifte sich. »Du machst was?«
»Ich gehe spazieren«, wiederholte ich und musste den Impuls unterdrücken, ihr Sams Buch aus den Händen zu reißen. »Ich langweile mich hier noch zu Tode und ich will mit Sam reden, aber ihr lasst mich ja nicht. Also muss ich irgendwas tun, sonst fange ich noch an, Sachen durch mein Zimmer zu schmeißen.«
Die Wahrheit war, dass ich ohne Schule oder Sam einfach draußen sein musste. So hatte ich es in den Sommern, bevor ich Sam kannte, gemacht – mich mit einem Buch in der Hand
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